Bis zum Wahltag hat der türkische Präsident die Wachstumsraten seines Landes künstlich nach oben geschraubt. Das Spiel ist aufgegangen. Jetzt droht der Türkei ein böses Erwachen und eine veritable Finanzkrise.
Als Recep Tayyip Erdoğan vorgezogene Wahlen angekündigt hatte, wussten Investoren und Analysten schnell Bescheid. Der türkische Präsident hatte die drohende Finanzkrise für sein Land erkannt und wollte die Bevölkerung noch schnell wählen lassen, solange es die Türkei wirtschaftlich noch im Aufwind ist. Und der AKP-Politiker hat einiges daran gesetzt, dass sich das ausgeht. Mit einer Kombination aus viel zu billigen Krediten und milliardenschweren Staatsausgaben blähte er die Wirtschaft weit über ihr Potenzial hinaus auf. Das Ergebnis: Die türkische Volkswirtschaft wuchs im Vorjahr schneller als jene in China - und der "Wohlstandsbringer" Erdoğan konnte seinen Wahlsieg einfahren.
Und jetzt? Bleibt Erdoğan seiner Linie treu, oder beginnt er die notwendigen wirtschaftlichen Aufräumarbeiten? Nach ein paar starken Jahren unter seiner Herrschaft sind die Schäden seiner lockeren Wirtschaftspolitik längst nicht mehr zu übersehen: Die Arbeitslosenrate ist mit elf Prozent wieder da, wo sie in der Krise 2002 war. Die Inflation stieg zuletzt deutlich über zehn Prozent und die Zinsen sind immer noch viel zu niedrig.
Türkische Unternehmen sind hoch verschuldet
Die Türkei ist besonders verwundbar, da das rasante Wachstum überwiegend mit ausländischem Kapital finanziert wurde. Sehen die Investoren nun anderswo höhere, sicherere Rendite - wie es etwa bei einem weiteren Zinsanstieg in den USA der Fall wäre -, sind die Mittel schnell wieder weg. Zudem haben türkische Unternehmen enorm hohe Dollar- und Eurokredite aufgenommen. Für sie ist die aktuelle Zinspolitik, die die längst nicht mehr unabhängige Zentralbank auf Erdoğans Zuruf fährt, eine Katastrophe. Üblicherweise müsste die Zentralbank die Zinsen anheben, um Überhitzung, Inflation und Währungsverfall entgegenzuwirken. Erdoğan hält von alledem nichts und fordert weiter billiges Geld für "seinen" Aufschwung. Mit dem Resultat, dass die Lira im Vorjahr um ein Fünftel gegenüber dem US-Dollar fiel, was die Schulden der türkischen Wirtschaft weiter in die Höhe treibt.
Kommende Woche will der alte und neue Machthaber der Türkei sein Wirtschaftsteam präsentieren. Frühestens dann werden Investoren erfahren, ob er bereit ist die Notbremse zu ziehen. Allzu hoch sind die Erwartungen allerdings nicht. Erdoğan werden weder bei Militär, Sozialem oder seinen Prestigeprojekten wirklich harte Einschnitte zugetraut. Im Gegenteil: Erst vor wenigen Wochen kündigte er ein weiteres milliardenschweres Konjunkturpaket an. Und die Zinsen? Auch hier könnten die schlimmsten Befürchtungen der Investoren Realität werden: Erdoğan hat wenig Zeifel daran gelassen, dass er sich im Falle seines Wahlsieges höchstpersönlich um die Zinsen im Land kümmern will.