Die Regierung will den Ausnahmezustand offenbar nicht mehr verlängern. Yücels Prozess begann am Donnerstag – und wurde vertagt.
Ankara. Der seit zwei Jahren geltende Ausnahmezustand in der Türkei soll türkischen Medien zufolge beendet werden. Nach einem Treffen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seinem ultranationalistischen Verbündeten im Parlament, Devlet Bahçeli, habe die Regierung beschlossen, den Ausnahmezustand im Juli nicht mehr zu verlängern. Dieser gilt seit dem blutigen Putschversuch im Juli 2016.
Während des Notstandes ist die türkische Regierung rigoros gegen Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, gegen Journalisten, Aktivisten und Oppositionspolitiker vorgegangen. Die Gülen-Bewegung soll die Verantwortung für den Putsch tragen. Dass die von vielen Kritikern als „Hexenjagd“ bezeichneten Säuberungen mit dem Ausnahmezustand ein Ende finden werden, bezweifeln Beobachter. Erst vor wenigen Tagen haben Ermittler im Istanbuler Büro der unabhängigen Online-Plattform sendika.org eine Razzia durchgeführt. Was sie den Journalisten vorwerfen, war zunächst nicht klar. Der Großteil der türkischen Medienlandschaft gilt als regierungsfreundlich.
So auch die Gerichte. Zwar ist der bekannte Autor und Professor, Mehmet Altan, am Mittwoch freigelassen worden. Zuvor hatte ihn ein Gericht wegen Mitgliedschaft bei der Gülen-Bewegung zu lebenslänglich verurteilt, Altan ging in Berufung. Auch mehrere Mitglieder der prokurdischen HDP durften die Gefängnisse verlassen. Gleichzeitig wurden in Izmir Haftbefehle gegen zwölf Oppositionsanhänger erlassen, die bei einer Wahlkampfveranstaltung der kemalistischen CHP Erdoğan beleidigt haben sollen.
Ein Prozess steht auch dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel bevor, der ein Jahr lang ohne Anklage in der Türkei festgehalten wurde – am Donnerstag war der Auftakt. Einen Freispruch, wie von Yücels Anwalt gefordert, lehnte der Richter ab. „Wegen der Schwere der Anklage“ seien die Bedingungen nicht gegeben. Yücel darf allerdings von Deutschland aus aussagen. Das Gericht vertage auf den 20. Dezember. (red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2018)