EU-Staaten einigen sich auf Verschärfung der Asylpolitik

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News Bilder des Tages Austrian Minister of Foreign Affairs Sebastian Kurz and President of France Em(c) imago/Belga (POOL CHRITOPHE LICOPPE)
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Künftig soll es freiwillige Zentren für Flüchtlinge innerhalb und Anlandeplattformen außerhalb der EU geben. Italien hatte zuvor mit einer Blockade der Gipfelerklärung gedroht.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich Freitagfrüh beim EU-Gipfel in Brüssel auf die weitere Vorgangsweise in der Migrationspolitik geeinigt. Dies teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk via Twitter mit. Laut Diplomaten sieht die Einigung eine Reihe von Verschärfungen vor.

Von der Migration besonders betroffene Staaten wie Italien, Griechenland oder Spanien sollen zudem auf freiwilliger Basis entlastet werden, so die Kompromissformel nach stundenlangen nächtlichen Verhandlungen. Auf Vorschlag von Frankreich und Italien sollte es freiwillige Zentren für Flüchtlinge innerhalb der EU geben, von denen diese freiwillig auf andere EU-Staaten verteilt werden können. Verantwortung und Solidarität lautet dabei das Motto. Welches Länder solche Zentren einrichten könnten, blieb völlig offen. Italien hatte zuvor mit einer Blockade der Gipfelerklärung gedroht, falls es in der Frage der Flüchtlingsverteilung nicht zu Taten komme. Der Ansatz der Freiwilligkeit war der kleinste gemeinsame Nenner, nachdem eine Reform des Dublin-Verfahrens, wonach das Ersteinreiseland für Registrierung und Asylverfahren von Migranten zuständig ist, derzeit keine Chance auf Umsetzung hat.

Erstmals enthält eine Gipfelerklärung das Ziel zur Schaffung von Flüchtlingszentren in Staaten außerhalb der EU. Flüchtlinge sollen künftig im Mittelmeer abgefangen und in sogenannte Anlandeplattformen nach Nordafrika zurückgebracht werden.

Neben freiwilligen Flüchtlingszentren in Europa und Anlandeplattformen außerhalb der EU einigten sich die Staats-und Regierungschefs beim EU-Gipfel auch auf einen verstärkten Schutz der Außengrenzen.

NGO-Schiffe sollen verbannt werden

In die Gipfelerklärung aufgenommen wurde auch ein von Österreich unterstützter Vorschlag Maltas, wonach Schiffe von NGOs und Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer unterwegs sind, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten, künftig aus den libyschen Küstenregionen verbannt werden sollen. Bei Verstößen soll es Maßnahmen geben.

Erstmals habe sich der EU-Gipfel auf "Anlandezentren" für Flüchtlinge außerhalb der EU geeinigt, bestätigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Freitagfrüh. "Diese Idee hat sich jetzt durchgesetzt", sagte Kurz. Darüber hinaus gebe es Richtlinien für NGOs für die
Flüchtlingsrettung.

Kurz berichtete von einer "langen und harten Diskussion". Es gebe
noch immer sehr unterschiedliche Zugänge zur Migrationspolitik.

Kurz bestätigte auch eine Einigung auf freiwillige Flüchtlingszentren und Flüchtlingsverteilung innerhalb der EU. Wenn Staaten wie Italien und Griechenland dies möchten, könnten sie "geschlossene Zentren" errichten. "Es gibt nach wie vor keine Einigung auf verpflichtende Quoten", sagte der Kanzler.

"Keine Beteiligung an Verteilung"

Kurz machte klar, dass sich Österreich nicht an der Verteilung in der EU beteiligen wolle. Österreich habe schon überproportional viele Menschen aufgenommen. Es gehe darum, den Zustrom zu reduzieren, sagte er. Österreich habe "deutlich mehr aufgenommen als andere Staaten". Er sei froh, dass jetzt der Fokus auf dem Außengrenzschutz liege. Es gebe auch eine Bereitschaft, stärker mit der libyschen Küstenwache zusammenzuarbeiten. Die Visegrad-Staaten, Dänemark, Niederlande, Bulgarien und Österreich hätten ein stärkeres Aktivwerden an der Außengrenze gefordert.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel führte am Rande des Gipfels mit mehreren Ländern Gespräche über bilaterale Abkommen zur Rückführung von in Deutschland gelandeten Dublin-Fällen. Die CDU-Chefin will mit solchen Vereinbarungen den innerdeutschen Koalitionsstreit mit der Schwesterpartei CSU entschärfen.

Merkel zeigte sich nach der Einigung auf weitere europäische Schritte in der EU-Asylpolitik optimistisch und zuversichtlich. Man hatte zwar "viel zu tun, die verschiedenen Sichtweisen zu überbrücken, die gute Botschaft ist, dass wir einen gemeinsamen Text verabschiedet haben".

Im Zusammenhang mit den geplanten Flüchtlingszentren außerhalb der EU, betonte Merkel, dass es wichtig sei, diese Plattformen in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, der International Migration Organisation (IMO) und den betroffenen Staaten in Afrika zu erreichten. "Wir wollen in Partnerschaft mit Afrika arbeiten. Nur so werden wir wirklich eine Win-Win-Situation erzeugen." Bei der Einrichtung dieser Zentren müsse darüber hinaus internationales Recht eingehalten werden.

Frontex soll aufgestockt werden

Zwecks Stärkung des Außengrenzschutzes soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex bereits bis 2020 deutlich finanziell und personell aufgestockt werden. Daneben haben sich die EU-Staats-
und Regierungschefs auch auf die Auszahlung der zweiten Tranche an die Türkei geeinigt, die für einen Flüchtlingsdeal mit der EU zwei mal drei Mrd. Euro erhält. Für Afrika soll es zudem mehr Geld geben, der EU-Treuhandfonds für Afrika wird laut Merkel aufgestockt.

In Sachen Sekundärmigration innerhalb Europas habe man eine stärkere Ordnung und Steuerung vereinbart. Klar sei, dass alle sich an Regeln halten müssten und sich kein Asylbewerber einen EU-Staat aussuchen dürfe. 5 von 7 der Dossiers aus dem Asylpaket seien inzwischen geklärt. "Jetzt wird bei der österreichischen Präsidentschaft noch eine große Zahl an Aufgaben liegen", sagte die deutsche Bundeskanzlerin.

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach nach der Marathonsitzung von einer echten Einigung der 28 EU-Staaten. Auch
die Osteuropäer und die südlichen Ankunftsländer seien dabei. Die Verhandlungen seien "außergewöhnlich schwierig" und komplex gewesen
in allen Aspekten. Die Gipfeleinigung müsse nun erst ausgearbeitet
werden. Mit Ländern außerhalb Europas sollen ähnliche Absprachen wie
mit der Türkei getroffen werden. Die freiwilligen Flüchtlingszentren in Europa sollen dazu beitragen, Asylverfahren schneller abzuwickeln. Das Problem sei nicht gelöst, die EU habe nur einen Schritt geschafft, sagte Rutte. Insbesondere die freiwillige Verteilung in der EU müsse noch ausgearbeitet werden.

"Italien ist nicht länger allein"

Italiens Regierungschef Giuseppe Conte hat sich zufrieden mit den Beschlüssen des EU-Gipfels zu Migration gezeigt. "Italien ist nicht länger allein", sagte Conte. Die Regierung in Rom hatte am Donnerstag alle Gipfelbeschlüsse wegen Forderungen in der Flüchtlingsfrage zunächst blockiert.

Italien sieht sich als Hauptankunftsland für Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute von den anderen EU-Staaten allein gelassen. Denn
nach den EU-Regeln ist normalerweise das Erstankunftsland für Asylbewerber zuständig. Aus Protest hat Italien bereits Schiffen mit
vor Libyen geretteten Flüchtlingen die Einfahrt in seine Häfen verweigert.

(APA)

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