"So nicht, Herr Bundeskanzler": Dringliche Anfrage der SPÖ zur Arbeitszeit

NATIONALRAT: SCHIEDER / KERN
NATIONALRAT: SCHIEDER / KERNAPA/ROLAND SCHLAGER
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In der Sondersitzung des Parlaments am Vortrag der Großdemonstration ist eine heftige Debatte zu erwarten. Bundeskanzler Kurz wird wegen der Terminkollision mit dem EU-Gipfel möglicherweise doch nicht teilnehmen.

Die SPÖ macht in Sachen Arbeitszeit weiter mobil. Am Tag vor der großen ÖGB-Demo gegen die Regierungspläne und knapp eine Woche vor dem Beschluss von 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche als neue Maximalvariante haben die Sozialdemokraten heute zu einer Sondersitzung des Nationalrats gerufen. Das von der SPÖ gewählte Thema heißt: "12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche im Auftrag der ÖVP-Großspender. So nicht, Herr Bundeskanzler." Adressat der roten Angriffe ist also Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), an den eine "Dringliche Anfrage" gerichtet ist.

Der Adressat wird etwas verspätet zur Sondersitzung des Nationalrats kommen. "Der Bundeskanzler wird so bald wie möglich kommen und sollte es schaffen, um 16.30 bei der Sondersitzung zu sein", erklärte sein Sprecher. Begründet wurde das damit, dass sich der Beginn der Sitzungen beim EU-Gipfel in Brüssel um zwei Stunden auf 11.00 Uhr nach hinten verschoben hätten. Die "Dringliche Anfrage" der SPÖ beantwortet statt des Kanzlers Minister Gernot Blümel (ÖVP). Der geschäftsführende SPÖ-Klubchef Andreas Schieder glaubt, dass es von Anfang an der Plan war, das Parlament und damit auch die Bürger zu "verhöhnen und zu verachten".

"Rückschritt in frühindustrielle Zeiten"

Schieder nahm dabei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) direkt in Verantwortung: "Sie selbst haben in der Präsidiale auf unser wiederholtes Fragen hoch und heilig versprochen, dass der Bundeskanzler heute um 15 Uhr hier sein wird, komme, was wolle." Sobotka reagierte verärgert und betonte, dass nicht absehbar gewesen sei, dass die Sitzung am EU-Gipfel nicht bis 22 Uhr sondern bis 4 Uhr 30 früh dauere. 

In der Begründung der "Dringlichen Anfrage" gehen die Sozialdemokraten um Antragssteller Josef Muchitsch tief in die Historie: "Vor fast genau hundert Jahren wurde der 12-Stunden-Tag abgeschafft. Diese Errungenschaft wird jetzt, hundert Jahre später, von dieser Regierung unter Bundeskanzler Kurz rückgängig gemacht", schreibt der SPÖ-Klub und folgert, dass "gesamtgesellschaftlich" ein Rückschritt in frühindustrielle Zeiten bevorstehe.

Nach Ansicht der SPÖ macht die Verlängerung der Maximalarbeitszeit krank und vernichtet Arbeitsplätze. Zudem erschwere sie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und verfestige "an sich bereits überholte Geschlechterrollen". Vorteile für die Arbeitnehmer werden keine erkannt, sei die von ÖVP und FPÖ als Ausgleich propagierte Vier-Tages-Woche doch bereits heute geltendes Recht.

Wünsche einer "mächtigen Unternehmerlobby" bedienen

Überhaupt wird seitens der SPÖ darauf verwiesen, dass es zahlreiche Ausnahmebestimmungen gebe, wo unter verpflichtender Mitbestimmung des Betriebsrats ein vorübergehender 12-Stunden-Tag und eine 60-Stunden-Woche zugelassen werden - und das über 24 Wochen im Arbeitsjahr.

Eingebracht wird die "Dringliche Anfrage" um 12 Uhr, debattiert ab 15 Uhr und damit zu einem (aus SPÖ-Sicht) sehr ungünstigen Termin, beginnen doch im Osten gerade die Sommerferien. Die ÖVP hatte einen früheren Termin mit Verweis auf Dienstreisen von Kurz und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) blockiert.

Arbeitsrechtler verteidigt Regierungsvorhaben

Der Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal verteidigte das schwarz-blaue Vorhaben zur Arbeitszeit im "Mittagsjournal" des ORF-Radio Ö1. Er sei "froh", dass es zur "Präzisierungen strittiger Fragen" gekommen sei. Es werde sichergestellt, dass Arbeitnehmern, die es auf Basis der Freiwilligkeit ablehnen, länger zu arbeiten, keine Konsequenzen fürchten müssten, auch wenn Freiwilligkeit im Arbeitsrecht immer nur bedingt sei. Auch das Zustandekommen des Gesetzes per Initiativantrag sei "konsistent" erfolgt, glaubt Mazal.

Wenn Sozialpartner über Jahre in Verhandlungen zu keinem Ergebnis kämen, dann gehe öfters eine Seite mit einem Thema ins Parlament. So sei auf Wunsch des ÖGB in der letzten Nationalratssitzung vor den Wahlen die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten erfolgt, argumentierte der Arbeitsrechtler. Auch dass keine lange Begutachtung, sondern eine Ausschussbegutachtung erfolgt, kritisierte Mazal nicht. Der Bedarf an 12-Stunden-Tagen sei bei vielen Unternehmen jedenfalls hoch, bisher gebe es zu viele bürokratische Hürden, verteidigte er die Regierungspläne.

Beschäftigte dürfen "ohne Angaben von Gründen" ablehnen

Indes haben die Regierungsfraktionen ihren Abänderungsantrag fertiggestellt, mit dem sie die versprochene "Freiwilligkeitsgarantie" in das Gesetz zur Arbeitszeitflexibilisierung einbringen wollen. Er soll kommende Woche zusammen mit dem Initiativantrag für die neuen Arbeitszeitregeln beschlossen werden.

Laut der nun getroffenen Einfügung steht es Arbeitnehmern damit frei, Überstunden "ohne Angaben von Gründen" abzulehnen, wenn diese die Tagesarbeitszeit von zehn Stunden oder die Wochenarbeitszeit von 50 Stunden überschreiten würden. Das betrifft explizit auch Wochenend- und Feiertagsarbeit. Im ursprünglichen Antrag war die Ablehnung der 11. und 12. Stunde nur aus "überwiegenden persönlichen Interessen" des Arbeitnehmers vorgesehen.

Nun darf ein Nein des Beschäftigten zu keinen Benachteiligungen hinsichtlich Entgelt, Aufstiegsmöglichkeiten und Versetzung führen. Kündigungen wegen der Überstunden-Ablehnung können bei Gericht angefochten werden, sieht der Abänderungsantrag vor. Arbeitnehmer können wählen, ob diese zusätzlichen Stunden mit Geld oder durch Zeitausgleich abgegolten werden.

(APA)

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