Keine "einsame Wölfe": Beziehungen waren notwendig, um im KZ zu überleben

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Unmittelbar nach deren Befreiung interviewte Elmer Luchterhand KZ-Überlebende. Und stellte ihnen Fragen ohne scheu vor intimen Themen. Seine Studien ergaben, dass Beziehungen und Kleingruppen notwendig waren, um im KZ zu überleben.

Als einer der ersten interviewte Elmer Luchterhand KZ-Überlebende für die Wissenschaft. Er stellte Fragen, die davor und danach keiner zu stellen wagte. Trotzdem verschwand seine Forschung in der Versenkung. Im Rahmen der Mauthausen Studien ist nun die Dissertation des Soziologen von 1953 erschienen. Sein Ergebnis: Paare und Kleingruppen waren im KZ nötig, um zu überleben.

"Luchterhands Arbeit war eine der ersten, die sich mit dem Sozialverhalten von KZ-Häftlingen befasste", machte der Soziologe Andreas Kranebitter auf die Bedeutung des Materials aufmerksam. Gemeinsam mit seinem Fachkollegen Christian Fleck hat er die Dissertation des US-Amerikaners herausgegeben.

Kaum einsame Wölfe in Konzentrationslagern

Bereits 1950 und 1951 interviewte Luchterhand in den USA 52 Überlebende der Konzentrationslager. Nicht lange davor war er selbst noch als Nachrichtenoffizier der US-Army in Deutschland und Österreich stationiert. Im April 1945 war er dabei, als das KZ Hersbruck befreit wurde, danach kam er durch sieben weitere Lager, darunter Mauthausen, Dachau und Buchenwald. Die Eindrücke, die er dort machte, ließen ihn nicht mehr los. Zeit seines Lebens beschäftigte er sich mit dem Thema.

"Das, was Luchterhand herausgefunden hat, ist für die Forschung sehr interessant", sagte Kranebitter. Aus den zahlreichen Interviews schloss er nämlich, dass nicht das isolierte Leben eines "einsamen Wolfes" das Überleben garantierte, sondern ein Verhalten des Teilens und Tauschens, das er als Verhalten stabiler Paare bezeichnete.

Nur vier seiner Interviewten klassifizierte er als "einsame Wölfe", alle anderen beschrieben einen oder mehrere Partner, die für ihr Bestehen im Lager lebensnotwendig waren. "Diebstähle untereinander, sofern sie vorkamen, fanden am Anfang der Lagerhaft statt. Später nahm derartiges Verhalten ab, die Häftlinge passten sich den Normen und Werten der Häftlingsgesellschaft an, kooperierten, um zu überleben", fasste der Soziologe einige Ergebnisse zusammen.

Gegensatz zu anderen Thesen

Mit seiner These stand Luchterhand jedoch im klaren Gegensatz zu Bruno Bettelheim, der selbst von 1938 bis 1939 im KZ Dachau und Buchenwald inhaftiert war und als Psychoanalytiker die Hypothese aufgestellt hatte, dass sich KZ-Häftlinge mit zunehmender Haftdauer der Gewalt im Lager anpassten. Die einzige Strategie zu überleben - so Bettelheim - sei für neue Häftlinge, sich zu isolieren, nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein.

"Diese These war in den 1950er-Jahren sehr verbreitet und sicher einer der Gründe, warum Luchterhands Dissertation keine Beachtung fand", erklärte der Herausgeber. Zudem habe auch seine Biografie - in den 1930er-Jahren war er als "sehr" linker politischer Aktivist tätig - einer breiteren Beachtung im damals kommunistenfeindlichen Amerika entgegengestanden. "Von einigen methodologischen Konstruktionsfehlern in der Dissertation ganz abgesehen", so Kranebitter.

Fragen über Sexualität

Die Bedeutung von Luchterhands Arbeiten sind dennoch unumstritten für den Mitarbeiter der Gedenkstätte Mauthausen. "Luchterhand stellte Fragen, die davor und danach keiner mehr zu fragen wagte, etwa nach dem Diebstahls- oder dem Sexualverhalten im Lager", sagte der Soziologe. Er interviewte zumindest einen KZ-Häftling, der als Krimineller inhaftiert war, und in späteren Jahren auch SS-Angehörige. "Von diesen Gruppen gibt es wenig individuelle Berichte". Dieselben 52 KZ-Überlebenden suchte Luchterhand Anfang der 1970er-Jahre erneut auf und befragte sie ein zweites Mal, "Seine Arbeit ist damit eine der wenigen Longitudinalstudien in diesem Bereich", so Kranebitter.

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