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PROTESTAKTION GEGEN DEN 12-STUNDEN-TAG
PROTESTAKTION GEGEN DEN 12-STUNDEN-TAGAPA/GEORG HOCHMUTH
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Die Gewerkschaft will "mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen" gegen die "60-Stunden-Woche" vorgehen und schießt sich auf "Konzernkanzler Kurz" und "Arbeiterverräter Strache" ein.

"Willkommen in der neuen Welt der Arbeit", so der Name eines aufwendig produzierten Internet-Videos der Wirtschaftskammer: Im Spot präsentiert die WKO eine heile kunterbunte Welt, in dem kleine animierte Männchen den Zwölf-Stunden-Tag als Segen für alle Menschen besingen. Als Segen entpuppte sich das Internetvideo, das für Spott und Häme sorgte, letztendlich für die Arbeitnehmerseite. Da nützte es auch nichts mehr, dass WKO-Chef Harald Mahrer von einem „gesteuerten Protest“ sprach.

Natürlich haben Gewerkschafter und Arbeiterkammer auch aktiv die Werbetrommel für ihre Anliegen gerührt. Ihre Botschaft ist klar und sie ist auch angekommen: Am 30. Juni gingen zwischen 80.000 und 100.000 Menschen in Wien auf die Straße, um gegen eine Ausweitung der Maximalarbeitszeit zu protestieren. Das ist ein starkes Zeichen von einer Interessenvertretung, die einen Machtverlust befürchtet. Denn schon jetzt sind Zwölf-Stunden-Tage möglich, allerdings nur unter Mitsprache der Betriebsräte.

»Wenn sie den Arbeitskampf wollen, dann sollen sie ihn kriegen.«

Baugewerkschafter Josef Muchitsch

Am 2. Juli wurden in mehreren Unternehmen – darunter die ÖBB – Betriebsversammlungen abgehalten, was zu Störungen im Verkehr führte. Kommt es bald zum Streik? ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erklärte bei der Protestkundgebung: "Wir werden Widerstand leisten mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“. Baugewerkschafter und SPÖ-Abgeordneter Josef Muchitsch meinte: "Wenn sie den Arbeitskampf wollen, dann sollen sie ihn kriegen.“ Sein Parteichef Christian Kern kündigte den Antrag auf eine Volksabstimmung an. Ansonsten wolle man gemeinsam "mit der Zivilgesellschaft" weitere Maßnahmen ergreifen - auch ein Volksbegehren stehe im Raum.

Ein Foul leistete sich Post-Gewerkschaftschef Helmut Köstinger, der für ÖGB-Verhältnisse komplett unüblich zum Sturz der "unsozialen Regierung" aufrief. Katzian bemühte sich zu besänftigen: Man akzeptiere eine demokratisch gewählte Regierung – dies gelte aber nicht für ihre Maßnahmen.

Wie mobilisieren nun die Arbeitnehmervertreter ihre Anhänger? Der Gewerkschaftsbund spricht, genauso wie die SPÖ, generell nur noch vom „12-Stunden-Tag“, und noch lieber von der „60-Stunden-Woche“. In ihrer Argumentation vergessen die Arbeitnehmervertreter meist zu erwähnen, dass eine 60-Stunden-Woche auf Dauer gar nicht möglich ist, gibt es doch eine EU-Richtlinie, die die höchstzulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt. Sprich: Wer eine Woche 60 Stunden arbeitet, muss das auch wieder ausgleichen.

„Konzernkanzler Kurz, Arbeiterverräter Strache“

Bei der Bezeichnung der Regierungsspitze hat man sich offenbar auf ein Wording geeinigt. In Aussendung von ÖGB und SPÖ ist fast nur noch vom „Konzernkanzler Kurz“ und „Arbeiterverräter Strache“ die Rede, die im Auftrag ihrer „Großspender aus der Industrie“ handeln würden. Damit spielen sie vor allem auf eine Spende von fast 440.000 Euro an, die KTM-Chef Stefan Pierer im Vorjahr der Volkspartei zukommen ließ – und die in der Tat ungewöhnlich hoch ist.

Die „Freiwilligkeit“, die zuletzt von der Regierung betont wurde, konnte die Gewerkschafter nicht besänftigen. „Das macht den Anschlag auf die Arbeitnehmer keinen Deut besser, denn wie oft kann man denn Überstunden ablehnen, ohne gefährdet zu sein, den Arbeitsplatz zu verlieren“, erklärt etwa Josef Muchitsch. Auch in der Arbeiterkammer (AK) hält man wenig davon: "'Freiwilligkeit" ist in der Arbeitswelt relativ'", heißt es in einer Stellungnahme. Schließlich seien Beschäftigten auf ihren Job und auf ein gutes Betriebsklima angewiesen.

»Das kommt einem Lohnraub gleich!«

Fritz Pöltl, Fraktion Christlicher Gewerkschafter

Ein strittiger Punkt ist stets, ob Personen in Gleitzeit künftig benachteiligt werden. Die Industrie beharrt darauf, dass sich nichts ändert – außer der Gleitzeit-Rahmen. Würden Überstunden angeordnet, gebe es ohnehin einen Zuschlag, ansonsten würde der Arbeitnehmer freiwillig so lange arbeiten. Ob das in der Praxis auch so sein wird? Gewerkschafter überzeugt die Argumentation jedenfalls nicht, auch nicht die Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB, die dem ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB nahe steht: "Das kommt einem Lohnraub gleich!", kritisierte Landesgeschäftsführer Fritz Pöltl.

Welche Geschütze führen Arbeitnehmervertreter neben dem „Lohnraub“ sonst noch auf? Da wären die Warnung vor gesundheitlichen Belastungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die vor einem Zusammenbruch der „solidarischen Gesellschaft“. So warnten mehrere Arbeitnehmervertreter in Aussendungen davor, dass auch das „Ehrenamt in Gefahr“ sei. Wie lasse sich ein Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr mit einem Zwölf-Stunden-Tag vereinbaren, fragte man sich – und startete einen Aufruf an die zahlreichen Vereinsmitglieder in Österreich: Sie sollen bei ihren Bürgermeistern protestieren.

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