Verpatzte Reform: Sind die Unis noch zu retten?

Verpatzte Reform Sind Unis
Verpatzte Reform Sind Unis(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Europas neues Studiensystem feiert Jubiläum. Die Wirtschaft ist skeptisch, Universitäten üben sich in Selbstkritik. Über die Mängel einer Vision.

Wien.Seit 1999 hätten sich 47 Staaten der Vision eines gemeinsamen europäischen Hochschulraums angeschlossen – und dabei große Fortschritte gemacht: Es sind lobende Worte, die die 47 Bildungsminister der Bologna-Staaten heute, Freitag, bei der großen Jubiläumskonferenz in der Wiener Hofburg in der „Budapest-Vienna-Deklaration“ festschreiben werden.

Von einer einzigartigen Partnerschaft, einem sichtbareren Europa auf der Weltkarte und Respekt vor den kulturellen Unterschieden der Länder wird man, wie „Die Presse“ erfuhr, in der noch geheimen Festschrift lesen können. Dass die Realität anders aussieht, scheinen aber auch die Minister zu wissen – und wollen den Studenten daher entgegenkommen. So soll den Studentenprotesten ein eigener Punkt in der Deklaration gewidmet sein, als Zeichen der Anerkennung all jener kritischen Stimmen, die auf Fehler bei der Umsetzung des Prozesses hingewiesen hätten.

Derer scheint es wahrlich genug zu geben. Denn von den ursprünglichen Zielen der Umstellung auf das Bachelor-/Master-System – verbesserte Mobilität, Vergleichbarkeit von Studien und höhere Berufsfähigkeit – ist man in Österreich weit entfernt. Dessen sind sich alle Akteure im Uni-System einig.

Wirtschaft und Unis skeptisch

Von der Wirtschaft ist der Bachelor (also jener Abschluss, der Berufsfähigkeit vermitteln soll) kaum anerkannt. Rund 80Prozent der Studierenden hängen daher, statt (wie gewünscht) in den Arbeitsmarkt einzutreten, sofort ein Masterstudium an. Noch nicht einmal die Unis selbst glauben an die Berufsbefähigung ihrer Absolventen. Laut einer Studie der European University Association halten lediglich 15Prozent der Unis die Bachelorausbildung für eine angemessene Vorbereitung auf das Berufsleben.

Bei Studentenprotesten in mehreren europäischen Ländern wurde vor allem Kritik an der Gestaltung der neuen Bachelorstudienpläne laut. Diese seien überfüllt und verschult. Ein weiterer Vorwurf: Bologna führe zur „Ökonomisierung“ der Bildung. Die Fronten zwischen den Akteuren sind verhärtet – ein Zurück zur früheren Studienordnung ist nach zehn Jahren Hochschulreform dennoch nicht mehr möglich. Wie aber ist der Bologna-Prozess jetzt noch zu retten?

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) gestand bereits zu Amtsantritt Fehler ein. Jedoch nicht im Bologna-Prozess selbst, sondern in der Umsetzung, für die die Universitäten verantwortlich zu machen seien. Diese hätten sich bei der Erarbeitung der neuen Studienpläne zu wenig Mühe gegeben.

Karl hat die Unis daher aufgefordert, die Curricula bis zum Jahr 2011 großflächig zu überarbeiten. Die Unis sollten dabei auch mehr Wert auf den „Bildungsaspekt“ legen, der zugunsten der Ausbildung für konkrete Berufsfelder in den Hintergrund rückte. Von einer Entrümpelung der Studienpläne ist die Rede, auch die vielfach gestrichenen freien Wahlfächer sollten wieder verstärkt in den Vordergrund rücken.

Die Ministerin hat den Unis dabei auch gleich die Rute ins Fenster gestellt: Sollten die zuständigen Curricularkommissionen die Studienpläne nicht bis 2011 überarbeiten, wolle sie trotz Uni-Autonomie „gesetzliche Maßnahmen“ nicht ausschließen.

Unis üben sich in Selbstkritik

Die Unis üben sich seit einigen Wochen in Selbstkritik. Die Umstellung sei in manchen Studien nicht optimal verlaufen, das gestehe man ein. Nicht jedoch, ohne auf die Teilschuld der Politik zu verweisen. Eine derart große Reform – wie gefordert – kostenneutral umzusetzen, sei kaum möglich. Zudem seien die Rektoren unter Zeitdruck gestanden und hätten kaum Unterstützung vonseiten der Politik erhalten.

Für die Zukunft des Bologna-Prozesses will Rektorenchef und TU-Graz-Rektor Hans Sünkel gemeinsam mit der Wirtschaft neue Anforderungsprofile entwickeln. Auch Ministerin Karl will er in die Pflicht nehmen: Es brauche nun „die Koordinierung durch das Ministerium“ und letztlich den lange versprochenen „Österreichischen Hochschulplan“ zur Neuordnung der tertiären Bildungslandschaft. Zudem sollte die Studiendauer des Bachelors nicht auf sechs Semester beschränkt werden, fordert Sünkel. Er spricht sich für die Verlängerung der Mindestdauer auf acht Semester aus.

Unternehmer fordern bessere Abstimmung

Die Unternehmervertreter fordern die bessere Abstimmung und strategische Zusammenarbeit von Unis und Wirtschaft. Dass so viele Bachelorabschlüsse skeptisch beäugt würden, liege daran, dass „es den Universitäten kaum gelungen ist, ein kurzes, gut kombiniertes Studium mit einem Qualifikationsmix zu konzipieren, das den Anforderungen der Wirtschaft entspricht“, sagt Gerhard Riemer von der Industriellenvereinigung. Auch die Arbeiterkammer verlangt, dass die neuen Bachelor-Studienpläne verstärkt Beschäftigungsperspektiven nach dem Abschluss einbeziehen müssten.

Gefordert seien jedoch auch die Unternehmervertreter selbst: „Wir haben uns in der Vergangenheit zu wenig darum gekümmert, den Firmen die Bedeutung der neuen Abschlüsse zu kommunizieren“, sagt Riemer, der als Vertreter der europäischen Wirtschaft an der Bologna-Konferenz in Budapest und Wien teilnimmt. Viele Unternehmer seien gerade ob der neuen Titelvielfalt und der geringen Vergleichbarkeit skeptisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2010)

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