„Studenten erleben Zwangsumstellung“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Studierendenanwalt Josef Leidenfrost über den Nachbesserungsbedarf bei der Bologna-Umstellung und seine Lust, ebenfalls einen Hörsaal zu besetzen.

„Die Presse“:Am Donnerstag gab es erneut eine Hörsaalbesetzung. Sie kennen die Probleme der Studierenden – bekommen Sie manchmal Lust, mit zu besetzen?
Josef Leidenfrost: Dafür bin ich zu alt. Mit Blick auf die Massenfächer, in denen mehrere Semester lang gar nichts geht, könnte man aber schon geneigt sein, mitzumachen. Wobei man sagen muss, dass die Probleme nicht neu sind. Wie ich 1975 zu studieren begonnen habe, musste ich mit dem Schlafsack vor dem Institut campieren, um einen Platz zu bekommen. Verändert hat sich die Art und Weise, wie Studierende darauf reagieren.

Einer der Auslöser der Proteste war die Umstellung auf das Bologna-System. Geht es den Studierenden seither wirklich schlechter?
Leidenfrost: Es wird vieles in das Schlagwort „Bologna“ hineinverpackt, wofür der Prozess nichts kann. Womit viele Studenten tatsächlich ein Problem haben, ist das, was sie als eine Zwangsumstellung auf neue Studienpläne erleben, weil die alten Diplomstudien auslaufen. Und dann gibt es natürlich noch Probleme, die mit der steigenden Mobilität zusammenhängen. Etwa bei der Anrechnung von Kursen. Da nützt das gesamte internationale ECTS-Punktesystem (mit dem die Studienleistungen zwischen Unis vergleichbar werden sollen, Anm.) nichts, wenn Institutionen Leistungen aus dem Ausland plötzlich doch nicht als gleichwertig ansehen.

Mittlerweile stimmen alle überein, dass die Umstellung nicht optimal läuft. Die Fronten zwischen Studenten, Rektoren und Ministerium sind verhärtet. Kann es überhaupt noch eine Lösung geben?
Leidenfrost: Im Moment tagen die Arbeitsforen im Hochschuldialog, da müssen wir auf Ergebnisse warten. Man wird jedenfalls Studienpläne vor Ort nachjustieren und sich etliche Fächer noch einmal einzeln ansehen müssen.


In Ihrer Tätigkeit als Studierendenanwalt: In wie viel Prozent der Fälle können Sie den Studenten tatsächlich helfen?
Leidenfrost: Wir bearbeiten im Jahr circa 450 Fälle eingehend. Rund 80 Prozent können wir bei Problemen helfen. In manchen Fällen können wir nicht vermitteln, weil die Studenten schon in einem formaljuristischen Verfahren mit der Uni stecken. Die Hilfe wird auch schwieriger, weil wir durch die Uni-Autonomie 21 voll rechtsfähige Institutionen haben, die ihre Strukturen autonom gestalten.

In welchen Studienrichtungen gibt es die größten Probleme?
Leidenfrost: Es gibt an großen Institutionen, vor allem in Massenfächern, prozentuell mehr Probleme als an Fachhochschulen oder kleinen Kunstunis. Diese haben bessere Betreuungsverhältnisse, da ist jemand vor Ort, der sich kümmert.

Ist das ein Plädoyer für Zugangsbeschränkungen?
Leidenfrost: Nein, ein Plädoyer dafür, dass man sich an großen Institutionen besser überlegt, wie man mit Problemen umgeht. Jede Uni braucht eine Stelle, an die sich die Studierenden unbürokratisch wenden können. In anderen Ländern ist das weit verbreitet der Fall.

ZUR PERSON

Josef Leidenfrost (52) leitet seit dem Jahr 2001 die Studierendenanwaltschaft des Ministeriums. Im Jahr verzeichnet die Institution 6000 Anfragen. Erreichbar ist das Beratungsteam unter der Telefonnummer 0800/311 650.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2010)

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