Rede im Europaparlament

Ratsvorsitz: Kanzler Kurz als Innenverteidiger

„Die Diskussionen in Deutschland zeigen, dass Europa den Fokus auf Außengrenzen benötigt“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz in Straßburg.
„Die Diskussionen in Deutschland zeigen, dass Europa den Fokus auf Außengrenzen benötigt“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz in Straßburg. (c) REUTERS (VINCENT KESSLER)
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Der Bundeskanzler stellte die Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes vor. Der Schwerpunkt liegt auf dichten Außengrenzen und Schutz der EU-Bürger.

Straßburg. Das Straßburger Plenum des Europaparlaments war weitgehend frei von Europaabgeordneten, als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in seiner Funktion als Ratsvorsitzender der EU das Wort ergriff, um die österreichischen Prioritäten für die kommenden sechs Monate darzulegen. Die Abwesenheit der meisten Parlamentarier hatte allerdings wenig mit der Person Kurz zu tun, als vielmehr damit, dass die Tagung, bei der es um den Bericht des scheidenden und die Agenda des kommenden Ratsvorsitzenden geht, nie sonderlich gut besucht ist – eine Tatsache, die bei Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (der im Gegensatz zu den Abgeordneten zur Teilnahme verpflichtet ist) in der Vergangenheit für Unmut gesorgt hat. Auch diesmal ließ sich Juncker einen Seitenhieb nicht verkneifen: Er werde nicht aussprechen, was er sich angesichts des leeren Saals denke, denn die wenigen Anwesenden würden es ohnehin wissen, sagte der Chef der Brüsseler Behörde, noch bevor Kurz ans Mikrofon trat.

Der frischgebackene Ratsvorsitzende machte von Anfang an klar, wo der Fokus der österreichischen Präsidentschaft liegen würde – nämlich auf dem Schutz der Europäer vor Gefahren dies- und jenseits der EU-Außengrenzen. Würde man die Festlegung mit dem Vokabular des Fußballs beschreiben wollen, dann ließe sich das österreichische Programm folgendermaßen zusammenfassen: Kurz übernimmt als Kapitän die Rolle des Innenverteidigers und plant ein defensives Spiel.

Die Defensive erstreckt sich zunächst über drei Bereiche: Schutz der europäischen Grenzen, Schutz des europäischen Wohlstands, sowie Schutz der näheren Umgebung – bzw. die Stabilisierung der Nachbarschaft im Süden, Südosten und Osten der EU. Angesichts der jüngsten Entwicklungen an der deutsch-österreichischen Grenze (siehe Seite 1) nahmen Grenzkontrollen die zentrale Stellung in den Ausführungen des Bundeskanzlers ein. „Die Diskussionen in Deutschland zeigen, dass Europa den Fokus auf Außengrenzen benötigt“, sagte Kurz. Demnach sind abgedichtete Außengrenzen Conditio sine qua non für die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums, denn die Migrationskrise habe das Vertrauen der Bevölkerungen in die europäischen Entscheidungsträger zutiefst „erschüttert“. Der Bundeskanzler wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Grenzsicherung kein rein österreichisches Anliegen sei, sondern sei beim EU-Gipfel Ende Juni von den Staats- und Regierungschefs einstimmig beschlossen worden.

„Verhandlungskünste“

Die Verteidigung des Wohlstands bezog sich vor allem auf die Herausforderung von Digitalisierung und Automatisierung, sowie auf Konkurrenz aus Übersee. Kurz sprach sich in Straßburg für eine „Ausgleichssteuer für Internetgiganten“ aus. Die EU müsse die Vorreiterrolle übernehmen und dafür sorgen, dass Gewinne dort besteuert würden, wo sie erwirtschaftet werden – eine Anspielung auf die internationale Praxis, Gewinne mittels konzerninterner Arrangements dorthin zu verschieben, wo die effektive Steuerquote besonders niedrig ist. Diese Steuerpraxis ist allerdings nicht nur auf Google und Co. beschränkt, sondern wird auch von „analogen“ Firmen wie Starbucks praktiziert.

Was die Stabilisierung der europäischen Nachbarschaft anbelangt, plädierte Kurz für den möglichst zügigen Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit allen Westbalkanländern. Afrika müsse finanziell unter die Arme gegriffen werden, um die Migrationsursachen vor Ort zu bekämpfen. Und mit Russland, das von der EU wegen der Annexion der Krim mit Sanktionen belegt wurde, müssten die „Dialogkanäle verstärkt“ werden. Und zu guter Letzt werde man mit den Brexit-Verhandlungen und den beginnenden Gesprächen über das nächste Mehrjahresbudget der EU beschäftigt sein.

Die Agenda ist also dicht gedrängt. Oder, um mit den Worten von Kommissionspräsident Juncker zu sprechen: „Europa braucht die österreichischen Verhandlungskünste.“

Auf einen Blick

Ein Europa, das schützt – so lautet das Motto des österreichischen Ratsvorsitzes im angelaufenen 2. Halbjahr 2018. Wien will sich dabei auf drei Bereiche konzentrieren: Erstens den Schutz der EU-Außengrenzen und Bekämpfung illegaler Migration; zweitens den Schutz des europäischen Wohlstands vor negativen Aspekten der Digitalisierung und der Automatisierung; und drittens die Stabilisierung der EU-Nachbarschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2018)

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