Nach drei Wochen Streit: Deutschland einigt sich auf Asylpaket

Aus dem Archiv (v.r.): die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Olaf Scholz und Innenminister Horst Seehofer
Aus dem Archiv (v.r.): die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Olaf Scholz und Innenminister Horst SeehoferReuters (Hannibal Hanschke)
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Im Streit über die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze haben CDU, CSU und SPD am Donnerstagabend eine Einigung erzielt.

Fast drei Wochen lang schien es so, als könnte die deutsche Bundesregierung jeden Moment zerbrechen, als würden CDU und CSU ihre Union aufkündigen und getrennte Wege gehen. Dann, am Donnerstagabend, ging plötzlich alles recht schnell: Nach rund einer Stunde Verhandlung einigten sich alle drei Regierungsparteien auf ein Asylpaket. CDU, CSU und SPD wollen nun schnellere Asylverfahren - und raschere Rückführungen.

Zunächst drehte sich bei dem Streit alles um die Frage: Sollen Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, direkt an der deutschen Grenze abgewiesen werden? Auf jeden Fall, meinte Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer. Kommt nicht in Frage, meinte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel. Zumindest so lange nicht, bis andere betroffenen Länder ihre Zustimmung erteilt haben.

Merkel und Seehofer hatten eigene Pläne 

Am Montagabend konnten sich die beiden Unionsparteien nach langem Hin und Her auf einen Kompromiss einigen - den sie aber noch mit der SPD abstimmen mussten. Der Drei-Punkte-Plan sah vor, sogenannte Transitzentren an der bayrisch-österreichischen Grenze zu errichten. Dort sollten Flüchtlinge überprüft werden: Wurden bereits in einem anderen Land Fingerabdrücke abgenommen, sollten sie rasch dorthin zurückgeführt werden. Sollte sie das EU-Land nicht aufnehmen, müsste Österreich die Verantwortung übernehmen.

Soweit der Plan der deutschen Regierung - zumindest bis Donnerstagnachmittag. Innenminister Seehofer reiste nach Wien, um mit der österreichischen Regierung zu verhandeln. Bundeskanzler Sebastian Kurz stellte sich quer - und wollte kein Abkommen zum Nachteil Österreichs abschließen.

Flüchtlinge betroffen, die schon Antrag gestellt haben

Am Abend kam dann ohnehin alles anders - mit der Einigung mit der SPD: Die Regierungsspitze einigte sich auf ein zweiseitiges Papier, das ein abgestuftes Verfahren im Umgang mit in anderen EU-Staaten registrierten Flüchtlingen vorsieht. Statt von "Transitzentren" (die die SPD abgelehnt hatte) ist nun in dem Papier von "Transitverfahren" die Rede. Davon sollen nur jene Menschen betroffen sein, die bereits einen Asylantrag in einem anderen EU-Staat gestellt haben. Und nicht die weit größere Gruppe von Menschen, die in einem anderen Staat regstriert wurden.

Diese betroffenen Flüchtlinge sollen in einen "Transferverfahren" innerhalb von 48 Stunden überprüft werden, heißt es. Dies soll in Grenznähe in Räumlichkeiten der Bundespolizei stattfinden oder direkt nach einem Transport zum Flughafen München. "Da gibt es keinen Stacheldraht oder Ähnliches", sagte Seehofer am Donnerstag. Es handle sich nicht um "Massenlager", wie teilweise behauptet werde, meint er. Nach 48 Stunden sollen die Schnellverfahren abgeschlossen sein.

Dabei handelt es sich laut Seehofer um höchstens fünf Fälle täglich. Die Deutsche Bundesregierung dürfte den Plan, Menschen auch nach Österreich rückzuführen, nicht völlig aufgegeben haben. Allerdings will man nur dann aktiv werden, wenn man sich auf eine Vereinbarung geeinigt hat.

SPD forderte Einwanderungsgesetz

Seehofer musste am Donnerstag bei einem Treffen mit der österreichischen Regierungsspitze in Wien klarstellen, Deutschland werde "weder jetzt noch in der Zukunft Österreich für Flüchtlinge verantwortlich machen, für die es nicht zuständig ist". Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte, man habe sich verständigt, dass Deutschland "keine Maßnahmen zum Nachteil Österreichs" setzen werde. "Wir haben in einem sehr freundschaftlichen Gespräch beraten, wie wir die Südroute für Migranten schließen können", sagte Seehofer in Hinblick auf ein Dreier-Treffen der Innenminister Deutschlands, Österreichs und Italiens kommende Woche in Innsbruck.

Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ließ sich bei einem Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag in Berlin nicht zu Zugeständnissen bewegen. Schließlich würden Migranten in Griechenland erstmals EU-Gebiet betreten, argumentierte Orban. Durch den Schutz seiner Südgrenze nehme Ungarn Deutschland "eine immense Last" ab. Deshalb sei es "unfair, dass man uns in Deutschland oft mangelnde Solidarität vorwirft".

"Unkontrollierbarer Dominoeffekt"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen warnte unterdessen vor einem "unkontrollierbaren Dominoeffekt" durch Grenzschließungen. "Wenn einer damit anfängt, den Schengenraum grundsätzlich infrage zu stellen, dann müssen wir sehr aufpassen, dass das keine Eigendynamik bekommt", sagte er bei einem Präsidententreffen in Slowenien. Kritisch äußerte er sich zur jüngsten Grenzübung in Spielfeld, die im Nachbarland für heftige Kritik gesorgt hatte. Solche Übungen gehören "abgesprochen, vorbereitet und erklärt", sagte Van der Bellen. "Wenn sie denn überhaupt notwendig sein sollen." Allgemein ging er auf Distanz zu den aktuellen Entwicklungen in der Flüchtlingspolitik und meinte: "Mit Fingerspitzengefühl und gegenseitigen Informationen geht es auch." Als Beispiel nannte er die Brennergrenze, wo es "in den letzten Jahren mitten in der Krise gelungen ist, durch polizeiliche Kooperation auf der Südseite wie auf der Nordseite des Brenners die Situation absolut unter Kontrolle zu halten".

Der italienische Innenminister Matteo Salvini will indes europäische Hilfe für Libyen zur Priorität beim EU-Innenministertreffen kommende Woche in Innsbruck machen. So solle etwa das Waffenembargo für das nordafrikanische Land aufgehoben werden, sagte Salvini bei einem Treffen mit dem libyschen Vizepremier Ahmed Meitig am Donnerstag in Rom. Meitig erklärte, dass Libyen seit über zwei Jahren auf den Abschluss eines Migrationsabkommens mit der EU warte. Sollte es zu keiner finanziellen Unterstützung seitens der EU kommen, werde Libyen einen Pakt mit Italien schließen. "Italien ist seit jeher unser erster Partner".

(APA/dpa/Reuters/ib)

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