Juristen halten die Ausgabenbremse und den Aufnahmestopp für einen Eingriff in die Selbstverwaltung. In den Ländern müssen Projekte auf Eis gelegt werden.
Wien. Die von der Regierung gesetzlich verordnete Ausgabenbremse für die Sozialversicherungen hat für große Empörung in der gesundheitspolitischen Branche und für neue Allianzen gesorgt. So warnt etwa die neue Koalition aus Kassen und Ärztekammer vor Versorgungsengpässen.
Verfassungsexperten zweifeln einstweilen an der Rechtmäßigkeit des am Donnerstag im Nationalrat von ÖVP, FPÖ und Neos beschlossenen Gesetzes. Theo Öhlinger sieht einen Eingriff in die Selbstverwaltung: „Ich kann mir schwer vorstellen, dass das vor dem VfGH halten würde.“ Heinz Mayer kommt zu einem ähnlichen Schluss. Für fragwürdig hält er auch den Aufnahmestopp, wonach Ärzte, Verwaltungspersonal und Bedienstete der oberen Führungsebene (Hauptverband und Träger) nur bis Ende 2019 bestellt werden bzw. deren Verträge nur bis Ende 2019 verlängert werden dürfen.
Die Regierung möchte mit dieser Maßnahme verhindern, dass die Kassen bis zur Vollendung der laufenden Systemreform zu viel ausgeben. Hauptverband-Chef Alexander Biach sieht darin ein „sehr deutliches Zeichen des Misstrauens“. Die Sozialversicherung wirtschafte mit größtem Verantwortungsbewusstsein – mit diesem Gesetz werde ihr jedoch unterstellt, „dass sie unnötig Geld ausgibt“.
Wien streicht Kinderambulanz
Die Gebietskrankenkassen warnen bereits vor weitreichenden Folgen. In Wien seien vor allem die Kinderversorgung – konkret eine geplante Ambulanz in Favoriten – und die Schmerztherapie betroffen, führte WGKK-Chefin Ingrid Reischl aus. Außerdem stünden drei für heuer noch geplante Primärversorgungszentren nun vor dem Aus. Auch Niederösterreich muss Projekte auf Eis legen, etwa Neubauten wie die Service-Center in Horn, Neunkirchen und Waidhofen/Ybbs. Sogar der bereits beschlossene Bau des Service-Centers in Pöchlarn sei in Gefahr, berichtete NÖGKK-Obmann Gerhard Hutter. VGKK-Chef Manfred Brunner sprach von einem „Showeffekt der Regierung“.
Problematisch sehen die Kassenchefs auch den Aufnahmestopp: Wenn die Kassen nur befristete Verträge vergeben dürften, bekämen sie „sicher nicht das beste Personal“, meint Reischl. Der Gang zum Verfassungsgerichtshof sei eine Option, allerdings könnte eine Entscheidung Jahre dauern. Daher liege ihre „ganze Hoffnung“ nun auf dem Bundesrat. (pri/APA)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2018)