„Zama“: Wie Kafka im Dschungel

Daniel Giménez Cacho verkörpert den ewig fruchtlos um Versetzung bittenden Zama mit bröckelndem Stoizismus.
Daniel Giménez Cacho verkörpert den ewig fruchtlos um Versetzung bittenden Zama mit bröckelndem Stoizismus.(c) Filmgarten
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Im Historienmysterium „Zama“ legt Lucrecia Martel die Kolonialgeschichte Lateinamerikas offen – Bild-Ton-Ticks und aufdringliche Lamas inklusive.

Es gibt eine Fischgattung, die vom Wasser nicht geduldet wird. Täglich wehren sich ihre Vertreter dagegen, vom Fluss an Land gespült zu werden. Man findet sie nie in der Mitte der Strömung, nur in Ufernähe. Und so sehr sie sich abmühen – irgendwann erschöpft sich ihre Kraft . . .

Kryptisch scheint die Fabel, die Don Diego de Zama eines Tages von einem versklavten Indio zu hören bekommt. Was genau damit gemeint ist, versteht er nicht. Doch das Gefühl, der Fisch könnte etwas mit ihm zu tun haben, lässt ihn nicht los.

Zama, Titelheld des jüngsten Films der Argentinierin Lucretia Martel, ist nicht in seinem Element. Seit gefühlten Ewigkeiten fristet der Kolonialbeamte des spanischen Königreichs sein Dasein in einem Kaff an der Küste. Als Kreole wird er von seinen Vorgesetzten nicht ernst genommen. Nichts wünscht er sich sehnlicher, als ein richtiger Spanier zu sein, anerkannt von den Herrenmenschen, deren Willen er vollstreckt. Doch seine Weißhaarperücke sitzt schlecht, sein dünkelhaftes Gebaren wirkt lächerlich – und das Gesuch, an seinen Heimatort versetzt zu werden, dringt nicht durch. Zugleich treibt Zamas Begehren unliebsame Blüten: Im Gebüsch versteckt, beobachtet er eingeborene Frauen beim Schlammbad. Als sie ihn entdecken, wird er wütend und schlägt zu.

„Zama“ ist ein Film über (Selbst-)Entfremdung, geschaffen durch Kolonialismus – und zwar aus der Sicht eines Kolonialisten, der schon immer Teil der Welt war, die er zu beherrschen meint. Von klassischem Historienkino ist dieses außergewöhnliche Werk, die Adaption eines Romans von Antonio di Benedetto, weit entfernt. Innen- und Außenwelt der Hauptfigur (von Daniel Giménez Cacho mit bröckelndem Stoizismus verkörpert) fließen stetig ineinander – wie in einem Wachtraum, der immer fiebriger wird. Die Identitätsmisere vermittelt sich weniger über die Handlung als über die Form – und zwar auf eine Art, die selbst im Arthaus-Kontext exzentrisch genannt werden darf.

Der Wahnsinn wächst

Regisseurin Martel zählt zu einer losen Riege von Filmkünstlern, die ums Jahr 2000 das Kino Argentiniens umkrempelten. Ihre Filme artikulierten Unbehagen an Verhältnissen, ohne diese direkt anzusprechen. Martels Debüt „La Ciénaga“ war ein bürgerliches Familienporträt, das schief zu hängen schien: Die stumme indigene Dienerschaft huschte meist nur im Hintergrund herum – und ließ latenten Rassismus erahnen, dessen neuzeitliche Wurzeln nun in „Zama“ offengelegt werden. Auch Martels subtiler Neurosenstil wirkt diesmal deutlicher. Zamas mit schwindender Hoffnung wachsender Wahn äußert sich vielgestaltig, vor allem akustisch. Gesprächspartner wiederholen grundlos Sätze, die Vogelwelt scheint den königlichen Funktionär auszulachen, und immer, wenn ihn ein Rückschlag trifft, drängt sich ein Gleitton in den Vordergrund.

Das Off meldet sich oft, mit Vorliebe unangekündigt. Mal ist es eine Stimme, mal fällt ein Schuss. An einer Stelle läuft mitten in einem Gespräch ein Lama durchs Zimmer, ohne dass jemand davon Notiz nimmt. Spätestens dann weiß man nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was Einbildung. Real wirkt eigentlich nur Zama selbst. Hinzu kommen Zeitsprünge, die nie als solche ausgewiesen werden. Eben hatte der Corregidor noch seinen Anschein von Nobilität, bartlos und mit Dreispitz auf dem Kopf, schon sieht er aus wie ein abgehalfterter Pirat – oder ein müder Don Quijote.

Das alles fühlt sich – auch aufgrund der ewig fruchtlosen Versuche Zamas, seine Versetzung zu erwirken – ein bisschen wie Kafka im Dschungel an. Nur dass es Martel weniger um eine allgemeine Existenzmalaise geht als um eine sehr spezifische, kolonialgeschichtlich begründete. Am Ende bleiben Zamas Bemühungen vergebens. Sie versanden in absurdem Glücksrittertum, auf der Suche nach Geisterbanditen und Phantomschätzen, an Orten, wo jede feudale Befehlsgewalt im Dickicht versickert. Dabei hätte der Mensch nur begreifen müssen, dass manche Fische an Land gehören.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2018)

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