Französische Ex-Kolonien: Frankofon oder afrikanisch?

ExKolonien Frankofon oder afrikanisch
ExKolonien Frankofon oder afrikanisch(c) AP (PHILIPPE WOJAZER)
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1960 wurden gleich 17 Staaten auf dem Schwarzen Kontinent in die Unabhängigkeit entlassen - davon 14 von Frankreich. Heute sollen die ehemaligen Kolonien weniger "frankofon" als vielmehr "afrikanisch" sein.

Ich muss sofort nach Paris. Mein Präsident ruft!“ – Kongos Umweltminister, der im Dezember die Delegation seines Landes bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen führte, wirkte verstört, als er sich während des Treffens abrupt von seinen Kollegen verabschieden musste. Kongo gehört immerhin zu einer jener Regionen, die in Kopenhagen im Rampenlicht standen und ihre besondere Forderung für einen allgemein befriedigenden Schutz des Urwalds im Kongo-Becken stimmgewaltig ausdrücken wollten.

Stets hatte sich der Minister mit seinen Kollegen aus Kamerun und Gabun beraten, und an jenem Nachmittag hatten sie eine gemeinsame Erklärung im Plenum verlesen wollen, um Schlagkraft zu zeigen. Kurz vorher sollte die Endfassung festgelegt werden – doch dazu kam es nicht mehr. Wie von Gott gerufen, rannte der Minister blitzartig davon und konnte mir gerade noch sein Reiseziel zuflüstern: Paris.

Warum Paris? Die bissige Erklärung kam später von einem Gipfelgast aus Côte d'Ivoire: „Präsident Sarkozy in seiner Großmannssucht hat beschlossen, sich vor seiner Ankunft in Kopenhagen als oberer Vertreter der afrikanischen Länder darzustellen, und da hat er seine devotesten Vasallen einbestellt.“

Der Kaiser und seine Vizekönige. Die Folge des jähen Abstechers nach Paris war handfest: Die „kräftige Erklärung“ der Kongobecken-Staaten unterblieb. Dafür paradierte Nicolas Sarkozy medienwirksam vor den Kameras im Élysée-Palast mit Gefolge aus Afrika; es fiel ihm leicht, in seinem frankofonen Hinterhof zu schöpfen. Ein offizielles Thema war Ruckzuck angesagt: der Urwald im Kongobecken. Und so eilten herbei: Ali Bongo, Nachfolger seines Vaters und Monate zuvor mit Wahlbetrug und Frankreichs Segen an die Spitze Gabuns gelangt; Denis Sassou-Nguesso aus Kongo-Brazzaville; Idriss Déby aus dem waldlosen Tschad; François Bozizé aus der Zentralafrikanischen Republik, Paul Biya aus Kamerun. Letzterer fand es noch nötig, vor den Medien eine Aussage zu machen, die für Hohn sorgte und die ihm seine Landsleute noch lang verübeln werden: „Wir stehen alle hinter Präsident Sarkozy.“

Ausgerechnet Kamerun: Unter den 14 Staaten, die 1960 von Frankreich unabhängig wurden und das heuer feiern, hatte es besonders hart zu kämpfen und seine Unabhängigkeit stets als Nationalheiligtum verteidigt. Obwohl der erste Präsident, Ahmadou Ahidjo, 1960 mit Hilfe aus Paris an die Macht kam, wobei die wahren Freiheitskämpfer als „Terroristen“ beseitigt wurden, wird er vom Volk als Mann gesehen, der in seiner 22-jährigen Herrschaft stets die Interessen Kameruns mit Rückgrat nach außen vertreten hat.

Segen aus Paris macht alles gut. Mit der aufgedrängten Wahldemokratie sieht es unter seinem Nachfolger Biya anders aus: Der Segen der alten Kolonialmacht, die mit Sarkozy wieder sehr interventionistisch wurde, hat sich über die Jahre als ausschlaggebend erwiesen, um „umstrittene“ Wahlresultate international anerkennen zu lassen. Für manch unpopulären Führer geht diese Vorgehensweise jeder anderen vor – wie etwa effizientes Vorgehen gegen die verheerenden Auswirkungen der Klimaerwärmung in Afrika.

Dass hier bestimmte Staaten Afrikas „hinter Präsident Sarkozy“ stehen wollen, ist pervers, da Industrieländer wie Frankreich und der arme Süden gegensätzliche Interessen haben: Die einen produzieren massenhaft Klimagase und können sich mit Geld gegen resultierende Umweltschäden wappnen; die anderen sind vor fremd verursachten Umweltschäden mangels Ressourcen schutzlos. Es war also von vornherein nichts von der neokolonialen Vorladung nach Paris zu erwarten. Kongos Umweltminister war dort überflüssig.


Von Briten-Kolonien abgehängt. Sich so leicht aus dem Konzept bringen zu lassen, nur um die Unterwürfigkeit gegenüber fremden Herrn zu demonstrieren, ist symptomatisch: 50 Jahre nach den feierlichen Unabhängigkeitserklärungen hat sich die Kluft zwischen ex-britischen Kolonien wie Nigeria und Botswana und den Frankofonen zugunsten der Ersteren drastisch vertieft. Die ex-französischen Gebiete sind regelmäßig Schlusslichter in UN-Statistiken über den Stand der Entwicklung. Es kann nicht anders kommen: Allein durch den CFA-Franc, der ihre Ökonomien an Frankreich fesselt und ein gesundes Funktionieren verunmöglicht, ist autonome Wachstumspolitik Illusion.Stets stößt man auf ungläubiges Staunen, wenn man das System darlegt: Der CFA-Franc ist eine Kolonialwährung, die den Staaten nach der Unabhängigkeit aufgezwungen wurde, obwohl sie nicht mehr in das von Frankreich begründete Marktbündnis eingebunden waren.

Zur Sicherung der CFA-Franc-Konvertibilität gilt: Die CFA-Länder haben auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven keinen Zugriff, da sie beim Schatzamt in Paris zu hinterlegen sind; als Ausgleich für die Garantie der CFA-Franc-Konvertibilität durch Paris und Absicherung „finanzieller Unwägbarkeiten“.

Wer die Kohle hat, schafft an. Nur 15 Prozent der eigenen Geldreserven sind von den Eigentümern frei nutzbar. Freilich nicht so frei: Es geschah oft, dass die Franzosen, die damit über alle Import- und Exportgeschäfte informiert sind, gewisse geplante Ausgaben ihrer Schützlinge nicht genehmigt und so ihre Vorherrschaft gesichert haben. Daher lassen sich ausländische Partner teils dubiose Zahlungsweisen einfallen, die nicht über CFA-Francs abgewickelt werden, z. B. direkt mit Rohstoffen.

Auch den CFA-Franc auf- oder abzuwerten liegt nicht in der Macht der Afrikaner, die 1994 zusehen mussten, wie Paris ihre Währung unilateral um die Hälfte abwertete. Dabei war der Wechselkurs zum französischen Franc (FF) über Jahrzehnte fix. Trotz Verschwindens des FF setzte sich das System mit dem Euro fort. Kein Wunder, dass die Fragilität des CFA-Wirtschaftsmodells in einer globalisierten Welt zunehmen muss; keine Handelspolitik kann ohne Bezug auf die Währung existieren, keine Investition ohne Bezug auf die Währungsreserven. Afrikas frankofone Politiker sind in ihrer Wirtschaftspolitik im Grund irrelevante Statisten.

Zwar sehen manche die Gemeinschaftswährung als gut für den innerregionalen Handel, nur stimmt das nicht mehr ganz: Paris spaltete 1994 die CFA-Zone. Seither sind westafrikanischer und zentralafrikanischer CFA-Franc nicht mehr miteinander konvertibel.

Glaubt jemand, dass so ein Hindernis von Ministern und Präsidenten rege debattiert wird? Dass die Abschaffung dieser Monstrosität Priorität hat? Nein. Zwar erheben sich afrikanische Ökonomen regelmäßig dagegen, aber in der Elite, die von diesem System profitiert, herrscht Funkstille.

Kläglich war die Unterwürfigkeit des Gouverneurs einer der zwei CFA-Zentralbanken bei einer Pressekonferenz in Paris: Jährlich werden die Finanzminister der CFA-Zone zu einer Konferenz geladen, wo sie mit dem Chef der „Banque de France“ und dem Finanzminister erscheinen. Auf die Frage: „Monsieur le Gouverneur de la Banque de France, wie hoch sind die Gewinne Frankreichs auf die CFA-Franc-Reserven?“, antwortete der Afrikaner prompt und ungefragt: „So kann man die Frage nicht stellen! Frankreichs Regierung will uns nur helfen und bringt viele Opfer für uns.“ Neben ihm nickte sein wahrer Boss mit Genugtuung.


Frankreich kritisiert man nicht. Zu Protokoll meldete sich in der Sache bisher nur Senegals Präsident Abdoulaye Wade. Und zwar unmissverständlich: „Das Geld der Afrikaner, das im französischen Tresor liegt, muss zurück nach Afrika, um die Wirtschaftssysteme der Mitgliedstaaten der westafrikanischen Zentralbank zu finanzieren. Man kann nicht Milliarden und Milliarden auf ausländischen Aktienbörsen platziert haben und sich gleichzeitig arm erklären und betteln gehen.“ Frankreich schwieg darauf. Und Wades Afrikanerkollegen? „Der Präsident hat einige positive Anrufe erhalten“, sagte mir ein enger Mitarbeiter. „Aber öffentlich traut sich keiner.“

Laut setzen sich indes die meisten für die Pflege des Französischen ein, obwohl keiner sich übers Aussterben afrikanischer Sprachen Gedanken macht. Ein nigerianischer Delegierter bei der Welthandelsorganisation sah kopfschüttelnd zu, wie ein Kollege aus Kongo-Brazzaville seine teure Redezeit nur für die vehemente Forderung des obligatorischen Gebrauchs des Französischen bei internationalen Versammlungen verbrauchte: „Diese französischsprachigen Kerle sind bemitleidenswert. Am Ende des Tages sollten sie sich bewusst sein, dass sie zuerst Afrikaner sind.“

Bemitleidenswert sind sie in der Tat, bedenkt man, dass Frankreich viele Zeichen der Verachtung zeigt. Während des Wahlkampfs, als er noch als Innenminister bemüht war, Einwanderung aus Afrika zu stoppen, fuhr Sarkozy nach Benin und warf der Menge ins Gesicht: „Frankreich braucht Afrika wirtschaftlich nicht.“ Als Präsident sagte er an der Uni Dakar, der afrikanische Mensch sei „ontologisch zurückgeblieben“. In Frankreichs Botschaften werden Visawerber erniedrigt, selbst, wenn sie hohe Offizielle sind. Das Klima könnte nicht günstiger sein, um weniger „frankofon“ und mehr „afrikanisch“ zu sein.

Frankofone mag man nicht. Doch das ständige Drängen auf Sonderstellung der Frankofonie bei allen Instanzen wie der Afrikanischen Union (AU) führt zu ihrer Anfeindung. Selten kriegt ein Frankofoner hohe Posten auf internationaler Bühne (der Senegalese Jacques Diouf bei der Weltgesundheitsorganisation ist eine der Ausnahmen), denn man verdächtigt sie unterschwellig, Afrikas Interessen nicht verteidigen zu können.

Als Bingu wa Mutharika, Malawis Präsident, im Jänner zum AU-Chef gewählt wurde, war das Folge eines Ringens zwischen meist frankofonen Fans eines weiteren (statutenwidrigen) Mandats für den Libyer Muammar Gadhafi und dem anglofonen Block, wo Staaten Südafrikas tonangebend waren. Den Chef der AU-Kommission, Jean Ping aus Gabun, beschuldigten sie vorher, die Stimme Frankreichs in der Krise in Madagaskar zu sein. Von den subregionalen Wirtschaftsorganisationen in Afrika (Ecowas in Westafrika, SADC im südlichen Afrika, EAC in Ostafrika, Cemac in Zentralafrika) hat Letztere am wenigsten bei der Integration erreicht, nicht mal Reisefreiheit innerhalb der Mitglieder. Im Gegensatz zu den anderen sind in der Cemac nur frankofone Länder.

Wer weiß eigentlich noch, von wem Indonesien, Korea oder Vietnam kolonisiert wurden? Diese haben sich so verselbstständigt, dass ihre heutige Identität und Leistungen nicht mehr auf ihre koloniale Geschichte zurückzuführen sind. Das sollten sich die Frankofonen für die nächsten 50 Jahre zum Ziel setzen, damit sie die Vergangenheit mit Frankreich nicht ewig als verhängnisvolle Last tragen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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