Türkei. Die neue Regierung besteht aus loyalen Parteigängern. Beobachter befürchten, dass die Zentralbank ihre Unabhängigkeit verlieren könnte. Erste außenpolitische Akzente könnte Ankara beim Nato-Gipfel in Brüssel setzen.
Istanbul. Der Schwiegersohn als Finanzminister, der Leibarzt als Gesundheitsminister, der enge Vertraute als Industrieminister: Das erste Kabinett der neuen türkischen Präsidialrepublik macht klipp und klar, dass Loyalität zu Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in der neuen Türkei wichtig ist.
Wie bei einer Preisverleihung ließ der Präsident seine neue Ministerriege aufmarschieren, als er sie nach seiner Vereidigung im Präsidentenpalast von Ankara vorstellte. Die Besetzung der 16 Ministerposten und des Vizepräsidentenamtes mit ausgewiesenen Erdoğan-Anhängern – darunter nur zwei Frauen – ist Ausdruck seiner Entschlossenheit, die gesamten Staatsgeschäfte seiner direkten Kontrolle zu unterstellen und keine Machtzentren außerhalb des Palastes zu dulden.
Das wichtigste Signal setzte Erdoğan mit der Ernennung seines Schwiegersohnes Berat Albayrak zum Finanzminister. Der bisherige Vizepremier, Mehmet Şimşek, der bei ausländischen Anlegern als Garant finanzpolitischer Stabilität galt, gehört der Regierung nicht mehr an. Der 40-jährige Albayrak ist ein enger Vertrauter seines Schwiegervaters und wird von ihm als Nachfolger aufgebaut. Auch zwischen anderen Ministern und Erdoğan bestehen enge persönliche Verbindungen. So wird der bisherige Generalstabschef, Hulusi Akar, mit dem Amt des Verteidigungsministers belohnt.
Akar hatte sich während des Putschversuches von 2016 geweigert, die Umstürzler zu unterstützen, und ist seitdem zu einem persönlichen Freund des Präsidenten geworden: Die beiden Männer pilgerten unter anderem gemeinsam nach Mekka. Der neue Industrieminister, Mustafa Varank, ist seit Jahren ein enger Berater des Präsidenten. Während der Putschnacht wich er nicht von Erdoğans Seite, obwohl sein Bruder bei den Auseinandersetzungen ums Leben kam, wie der regierungsnahe Journalist Abdülkadir Selvi im Sender CNN-Türk berichtete. Der neue Gesundheitsminister Fahrettin Koca ist nicht nur Chef einer Krankenhauskette, sondern auch Hausarzt der Familie Erdoğan.
Um Beruhigung bemüht
An den internationalen Finanzmärkten kam die neue Regierung offenbar nicht gut an. Investoren schickten die Türkische Lira auf eine weitere Talfahrt: Der Kurs der Lira sackte gegenüber dem Dollar vorübergehend um vier Prozent ab.
Seit Anfang des Jahres hat die Landeswährung fast 20 Prozent an Wert verloren. Die Machtkonzentration auf Erdoğan weckt die Sorge, dass der Präsident die Unabhängigkeit der Zentralbank untergraben und die Türkei in eine Krise stürzen könnte. Der Unternehmerverband Tüsiad forderte am Dienstag, Kontrollinstitutionen wie die Zentralbank müssten unabhängig bleiben. Internationale Investoren haben ähnliche Bedenken.
Erste Hinweise auf die neue Außen- und Sicherheitspolitik der Türkei wird es indessen an diesem Mittwoch und Donnerstag beim Nato-Gipfel in Brüssel geben, wo sich Erdoğan mit seinem Team um einen Neuanfang in den Beziehungen zum Westen bemühen dürfte.
Aus wirtschaftlichen Gründen sind funktionierende Beziehungen zum Westen wichtig: Europa ist der größte Handelspartner der Türkei. Beim Nato-Gipfel werden sich Verteidigungsminister Akar und der im Amt bestätigte Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, deshalb nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre um eine Beruhigung bemühen, erwartet der türkische Politologe Serdar Erdurmaz. Das sei schon deshalb nötig, weil Russland „niemals ein Freund sein wird“, betonte Erdurmaz.
Unterdessen hält der Druck auf mutmaßliche Regierungsgegner an. Am Tag vor der Vereidigung waren fast 19.000 Soldaten, Polizisten und Beamte aus dem Dienst entfernt worden, am Dienstag nahm die Polizei im westtürkischen Izmir mehr als 20 Anhänger der prokurdischen HDP fest.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2018)