Beim Nato-Gipfel fürchten die Alliierten den „Elefanten“ aus Washington. Sie sollten indessen seine Mahnung beherzigen, einen größeren Beitrag zu leisten.
Unter dem Rotorenlärm des Hubschraubers am Garten des Weißen Hauses zeigte sich Donald Trump vor dem Abflug nach Europa in aufgeräumter Stimmung. Über dem Atlantik könnte dies aber schnell umschlagen, wie nicht nur Meteorologen wissen, sondern auch Kenner und Küchenpsychologen des US-Präsidenten. In der Nacht zuvor hatte er seinen Mann für den Obersten Gerichtshof und dessen Familie präsentiert, die TV-Ansprache stilisierte er zur Showeinlage à la Trump.
Nach Einschätzung Trumps läuft es derzeit richtig gut für ihn. Nach eineinhalb Jahren im Amt läuft der Präsident in seinem subjektiven Empfinden gleichsam zur Hochform auf. Er fühlt sich gestärkt und bestätigt, hofiert und geschmeichelt – und die Kritik und die Proteste, die seine Auftritte in Europa bei Stationen in Brüssel, London und Helsinki auslösen werden, stacheln ihn erst recht an. Dass er in den kommenden Tagen Queen Elizabeth treffen wird und schließlich in einem lange herbeigesehnten Gipfel auch Wladimir Putin, bläht sein pralles Ego weiter auf.
Wenn, ja, wenn nur nicht die lästigen Verbündeten wären, die partout nicht nach seiner Pfeife tanzen wollen. Monatelang haben Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Verteidigungsminister der Allianz und ihre Beamte in akribischer Kleinarbeit den Nato-Gipfel in Brüssel vorbereitet, um die Kluft zwischen der Regierung in Washington und dem Rest des Bündnisses zu schließen und einen Eklat zu vermeiden wie kürzlich beim G7-Gipfel in Kanada, als ein erzürnter US-Präsident an Bord der Air Force One die Vereinbarungen zur Makulatur erklärte.
Nichts fürchten die 28 Staats- und Regierungschef der Nato-Partner momentan mehr, als dass der republikanische Elefant aus Washington alles kurz und klein trampelt – wie im Vorjahr bei seinem Antrittsbesuch, als er erst vor dem Gruppenfoto einen südosteuropäischen Staatsmann wegrempelte, um hinterher eine Standpauke über die Schulden der Europäer bei Uncle Sam, ihrem Schutzherrn, zu halten.
Trump mag von Außenpolitik, vom ideellen und praktischen Wert von Allianzen, von Kooperation zwischen Bündnispartnern wenig verstehen, und er mag noch weniger Verständnis aufbringen für Absprachen, Traditionen und Sensibilitäten. So unberechenbar und erratisch er mitunter erscheint: In zwei Punkten beweist der Politiker, der sich im Grunde als Geschäftsmann und Dealmaker begreift, Konstanz – in der Handels- und Verteidigungspolitik. Bei ihm zählt, was unter dem Strich für ihn, sein Unternehmen und sein Land herauskommt. Seit Jahr und Tag prangert er die Unfairness auf Kosten der USA an; dass die Chinesen und die Europäer die Amerikaner übers Ohr hauen. Das hat ihn populär und schließlich auch zum Präsidenten gemacht. Als er sich neulich in Montana über Angela Merkel und die Deutschen – seine Lieblingsgegner unter den Alliierten – mokierte, johlten seine Anhänger.
Es wird für die Nato-Staaten diesmal nicht reichen, sich in den rituellen Selbstbeschwörungen von Stärke und Einheit zu ergehen und sich in der Praxis auf die Militärmacht der USA zu verlassen. In Brandbriefen an Merkel & Co, in Appellen und Tiraden hat Trump die Partner dröhnend aufgefordert, einen größeren Beitrag zu leisten. Im Stillen und hinter den Kulissen hatten sich auch seine Vorgänger im Weißen Haus über die Trittbrettfahrer-Mentalität der Europäer beklagt, allerdings ohne großen Effekt. Nur vier Staaten erfüllen das Zwei-Prozent-Ziel, wonach zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung fließen. Freilich: Nicht alles ist in Zahlen zu messen. Die Vormachtstellung in der Nato hat den USA die Position des Weltpolizisten eingebracht, und im Gegenzug hat die mächtige US-Rüstungsindustrie von den Aufträgen der Alliierten enorm profitiert.
Die Nato sollte Trumps Warnungen und Drohungen als dringenden Weckruf auffassen. Der US-Präsident darf es indessen nicht übertreiben mit dem Schlechtreden der Nato – von wegen „obsolet“ und „so schlimm wie die Nafta“, die nordamerikanische Freihandelszone. Es besteht nämlich durchaus die Gefahr, dass Trump die westliche Wertegemeinschaft aushöhlt und so nur Wladimir Putin einen Gefallen erweist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2018)