Gegen jeden Protest – neue Arbeitszeiten ab 1. September

Das Arbeitszeitgesetz ist beschlossen und tritt am 1. September in Kraft
Das Arbeitszeitgesetz ist beschlossen und tritt am 1. September in KraftAPA/ROBERT JAEGER
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Fakten spielten in der Debatte um die neue Arbeitszeit eine eher untergeordnete Rolle. Was bringt das Arbeitszeitgesetz nun?

Es war, um bei der Diktion zu bleiben, eine Propagandaschlacht: Regierung und Wirtschaftsvertreter malten eine rosarote Arbeitswelt, in der sich Beschäftigte künftig ganz nach Belieben ihre Arbeitszeit einteilen können, jedenfalls zu ihrem persönlichen Vorteil. Und die Gewerkschaft beschwor in Dunkelgrau eine Arbeitswelt herauf, in der böse Chefs ihre Mitarbeiter erst auspressen und dann wegwerfen.

Die Realität wird irgendwo dazwischen liegen. Am Donnerstag passierte das umstrittene Arbeitszeitgesetz den Bundesrat. Es ist beschlossen und tritt am 1. September in Kraft – kurz vor dem Start der Metallerlohnrunde.

Die 40-Stunden-Woche wurde in Österreich 1975 per Gesetz eingeführt. Sie wird vom neuen Arbeitszeitgesetz nicht angetastet. Was sich ändert: Die maximal zulässige Arbeitszeit steigt von zehn auf zwölf Stunden pro Tag und von 50 auf 60 Stunden in der Woche. Die Normalarbeitszeit bleibt bei 40Stunden in der Woche (in vielen Branchen 39,5Stunden) und acht Stunden am Tag. Mehrarbeit, die darüber hinausgeht, muss mit einem Zuschlag von 50Prozent (manchmal mehr) in Geld oder Zeit abgegolten werden. Arbeitsrechtlern zufolge steigt die Gesamtzahl der erlaubten Überstunden mit dem neuen Gesetz von 320 auf mehr als 400 im Jahr.


Mitnahme von Überstunden. Entscheidend sind die Durchrechnungszeiträume. Sie sind je nach Kollektivvertrag unterschiedlich. Das neue Gesetz sieht vor, dass Zeitguthaben mehrmals in den nächsten Durchrechnungszeitraum mitgenommen werden können. Die Gewerkschaft befürchtet, dass damit dauerhaft mehr gearbeitet wird und die Überstunden einfach wieder und wieder übertragen werden. Die Mitnahme von Überstunden in die nächste Periode ist jetzt schon erlaubt und in vielen Branchen die Regel. Es gibt allerdings eine EU-Richtlinie, die vorsieht, dass über einen Zeitraum von 17Wochen im Durchschnitt nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden darf. Überstunden müssen auch künftig mit Zuschlägen abgegolten werden. Anders wird das bei Gleitzeit sein. Arbeitsrechtsexperten gehen davon aus, dass viele bestehende Betriebsvereinbarungen über Gleitzeit neu ausgehandelt werden müssen. Sie können (und werden vermutlich) künftig einen Rahmen von zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich vorsehen.


Fließende Grenzen.Bei Gleitzeit ist davon auszugehen, dass sehr wohl Zuschläge wegfallen werden: In der Gleitzeit, die flexibles Arbeiten ermöglichen soll, gilt eine Überstunde nämlich nur dann also solche, wenn sie vom Vorgesetzten angeordnet wird. Arbeiten Beschäftigte von sich aus mehr, werden keine Aufschläge fällig. In der Praxis sind die Grenzen fließend.

Höchst umstritten ist die versprochene Freiwilligkeit bei Überstunden. Nach Protesten hat die Regierung eine entsprechende Formulierung ins Gesetz aufgenommen. Dort heißt es jetzt: „Es steht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern frei, Überstunden nach §7 und §8 Abs. 1 und 2 (bei erhöhtem Arbeitsbedarf und für Vor- und Abschlussarbeiten, Anm.) ohne Angabe von Gründen abzulehnen.“ Das gilt ab der elften Stunde am Tag beziehungsweise der 51. Stunde in der Woche.

Gewerkschafter bemängeln, dass die Freiwilligkeit trotzdem eine Farce sei, weil man nach mehrmaligem Ablehnen beim Chef in Ungnade falle und Kündigungskandidat werde. Das neue Gesetz verbietet eine Benachteiligung wegen Ablehnung der elften und zwölften Stunde. Solche Kündigungen können angefochten werden. Generell können Arbeitnehmer aber unter Einhaltung der Fristen ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2018)

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