Replik. Wie ein Vertreter der Industriellenvereinigung versucht, das geplante Standortentwicklungsgesetz zu beschönigen.
Der erst seit 5. Juli vorliegende Text eines Standortentwicklungsgesetzes (StEntG) enthält rekordverdächtige Rechtswidrigkeiten samt Eingriffen in das Recht auf ein faires Verfahren. Peter Koren von der Industriellenvereinigung (IV) versucht dies in seinem Gastkommentar in der „Presse“ (12.7.) mit dem Anspruch von Projektwerbern auf Entscheidung in angemessener Frist aufzurechnen.
Als Beleg werden dritte Piste, Lobautunnel, Westring, Salzburgleitung genannt. Das sind zwar „Dauerbrenner“, sauber recherchiert hat aber auch die IV nicht. Einreicher sind eben nicht Opfer, sondern an langen Verfahren Mitbeteiligte.
Hier nur kursorisch: Zwei serielle Verfahren zur Salzburgleitung dauern länger als eine parallele Abwicklung. Fünf Projektrevisionen der dritten Piste beanspruchen Zeit. Wenn es beim Lobautunnel gleich 30 Monate dauert, bis allein das Projekt für vollständig erklärt werden kann, dann liegt das nicht an den hier unbeteiligten Projektgegnern. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat die Asfinag in mehreren Runden drei Jahre nacharbeiten lassen, um offensichtlich durch die Prüfung der Behörde gerutschte Versäumnisse zu beseitigen. Das war in beiden Instanzen zu viel der Geduld.
Die große Axt ausgepackt
Das Vorurteil in jeder Verfahrensbeschleunigungsrhetorik, wonach immer die Verfahrensparteien schuld sein müssen, machte Ergebnisse unmöglich. Nun hat die Wirtschaftsministerin mit dem StEntG die große Axt ausgepackt, die praktisch beliebig auswählbare Vorhaben zwölf Monate nach Erlassung der vorgesehenen Standortentwicklungsvorhabenverordnung automatisch genehmigt.
Mit sofortiger Wirkung werden das Ermittlungsverfahren zulasten der Parteien und die Möglichkeit, Auflagen vorzuschreiben, eingeschränkt. Sogar die Bestimmung, die eine Abweisung nach dem Umweltverträglichkeitsgesetz (UVP) ermöglicht, gälte nicht mehr – besonders perfide, weil die Behörde eben nicht mehr in der Sache anders entscheiden könnte, bevor die Genehmigungsautomatik greift.
Ein Versuch, der allen schadet
Korens Aussage, dass die UVP nicht inhaltlich vorweggenommen und dass nicht in Parteienrechte eingegriffen wird, ist also nachweisbar ebenso falsch wie seine Behauptung, dass weiterhin Rechtsmittel ergriffen werden können. Das StEntG sieht nämlich die Beschwerdemöglichkeit nur für Grundsatzfragen vor. Das BVwG könnte in diesen Ausnahmefällen mit nur mehr drei Monaten Entscheidungsfrist und dem Verbot einer mündlichen Verhandlung seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen.
Verordnung und Automatik können zu jedem beliebigen UVP-Verfahrensstand wirksam werden. Es muss nicht einmal ein vollständiges Projekt vorliegen. Dies ermöglicht vielfältigen Missbrauch der Bestimmung. Verfahrensverzögerungen durch nicht entscheidende Behörden sind gängige Zeitfresser.
Auch dies verkennt Koren, wenn er die Säumnisbeschwerde als Gegenmittel anpreist. Dieses Instrument steht nur Projektwerbern offen, die aber wegen ihrer Bringschuld nicht in der Position sind, sie einzusetzen. Verfahrensparteien können sich damit nicht gegen ihre gezielte Ausschaltung durch Verschleppung wehren.
Schlecht gemachte Projekte nach längstens sechs bis zwölf Monaten zurückzuweisen und Akzeptanz der Existenz von nicht umweltverträglichen Vorhaben ist das einzige Erfolgsrezept zum raschen Verfahrensabschluss. Der Versuch, den bisherigen Irrweg mit mehr Vehemenz fortzusetzen, schadet allen Seiten.
Wolfgang Rehm ist UVP-Koordinator der Umweltorganisation Virus, seit 1984 im Umweltschutz tätig und hat an zahlreichen UVP-Verfahren mitgewirkt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2018)