Salzburg revisited: „Krauthügel“, Unipark und Pulled Pork

Land art. Paul Wallachs „Krauthügel“, ein abgestürzter Stern, 45 x 45 m.
Land art. Paul Wallachs „Krauthügel“, ein abgestürzter Stern, 45 x 45 m.(c) Andreas Kolarik / SalzburgFoundation 2018
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Da meint man, die Festspielstadt genau zu kennen. Doch beim Rundgang bergauf, bergab tut sich neben dem Vertrauten viel Neues auf.

Die ganze Welt hat ein Bild von Salzburg. Die Franzosen sprechen vom Charme der engen Gassen und Plätze, wo die Pracht des Barock aufleuchtet. Der „Guide Michelin“ etwa feiert „Salzbourg“ als Welthauptstadt der Musik und geben einen kurzen Abriss über die Geschichte der Festspiele. Die Engländer sehen die auf dem Felsen thronende Festung als Highlight neben den alten Gassen, wo überall durch offen stehende Fenster Musik nach außen dringt, so im „Lonely Planet“. Die spanische Website „Tus Destinos“ wieder zeigt Fotos von schneebedeckten Dächern unter dramatischem, grau verhangenem Himmel und heben die Bedeutung des Rohstoffs Salz für ein Land hervor, das kein Meer besitzt. Und die russische Homepage „Vena Gid“ wieder postet Bilder von wolkenlosen Sommertagen und zählt Kirchen auf, unter anderem jene mit dem schwer auszusprechenden Namen Kollegienkirche – eine der schönsten nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, wie es heißt.

Und wir? Für die das alles vor der Haustür liegt? Was fällt uns zu Salzburg ein? Der „Jedermann“, die Festung, die Getreidegasse, und dann? Der Kapuzinerberg! Ein absoluter Lieblingsort. Er verbindet Stadtnähe und alles, was man sucht, wenn man eigentlich die Stadt hinter sich lassen will: anspruchsvoller Aufstieg, Superpanorama, Einsamkeit. Die Stadt mittels unzähliger Stiegen überwinden und sie doch immer im Blick haben – und auch im Sinn. Oben angekommen steht man vor dem Mozart-Denkmal und der Büste von Stefan Zweig und wird daran erinnert, was unten, unter den Dächern, Kuppeln und Giebeln, alles geschaffen wurde. Die Bücher führen uns „aus der Enge ins Ewige empor“, um es mit den Worten des Bestsellerautors anno 1926 zu sagen.

Ensemble. Das ­­ Dommuseum ist Teil des ­prächtigen Domquartiers.
Ensemble. Das ­­ Dommuseum ist Teil des ­prächtigen Domquartiers. (c) DomQuartier

Das ehemalige Jagdschlösschen, das er für sich, seine Frau und seine Stieftöchter gemietet hatte, liegt versteckt hinter Bäumen. Schade, dass es kein Museum ist. Es wäre schön, jetzt in die „Welt von Gestern“ einzutauchen, Fotos von Stefan Zweig zu sehen, wie er im Café Bazar sitzt und Zeitung liest. Stattdessen vier im Quadrat angeordnete, messingfarbenen Täfelchen, mit den Namen der Vertriebenen. Sie sind neu, wie es scheint, und glänzen im Licht der Sonne.

Auf Du am Kapuzinerberg. 20 Minuten später ist das Franziskischlössl erreicht und ein freier Tisch im Burghof gefunden. Der Kies knirscht unter den Füßen der flinken Kellnerin im Dirndl. Sie ist gut gelaunt, der Blick zum Gaisberg betörend. Salzburg oder besser das Salzburgerische lässt sich hier erstmals akustisch vernehmen. „Woasst?“ sagt sie statt „Weißt du?“. Man ist per Du, wie auf den Schutzhütten üblich. Gäste in Bergschuhen sitzen neben Japanerinnen in Shorts. Das Paracelsusbier schmeckt bitter und macht schnell beschwipst. Das „Zerrupfte“ – auf kleiner Flamme geschmortes Pulled Pork – schmeckt intensiv nach Schweinsbraten, kleine Karfiolröschen in Sauce Béarnaise lockern das Ganze auf. Das Traditionelle kommt hier leicht daher, weltläufig.

Der Abstieg ins „Tal“ ist zugleich ein Wiedersehen mit dem Urbanen. Im Hotel Stein, das nach zweijähriger Renovierung wieder eröffnet hat, bringt einen der Lift in den siebten Stock. Auf der Steinterrasse, die jetzt „Seven Senses Rooftop Bar“ heißt, schmeckt nicht nur der Cappuccino. Dabei kommt der Gedanke, dass die Schönheit Salzburgs wahrscheinlich daher rührt, dass sie sich den Betrachtern gleich auf den ersten Blick erschießt: in der Ebene der Fluss, darüber der Fels, darauf als Krönung die Festung, ihr zu Füßen die Paläste, Kirchen und Häuser der Händler, Handwerker und Bediensteten. So war es immer und so ist es noch heute.

Konnex. Unipark Nonntal, zwischen kompakter Alt- und grüner Vorstadt.
Konnex. Unipark Nonntal, zwischen kompakter Alt- und grüner Vorstadt.(c) dpa/Michael Hudelist

Dem Kirchenfürsten und Bauherren Wolf Dietrich von Raitenau begegnet man im Domquartier. In seiner ehemaligen Residenz hängen Gemälde von Tafelrunden und Mahlzeiten im Freien, die nach der heiteren Einkehr im Franziskischlössl gut zur Stimmung passen. Unter seiner Herrschaft stieg Salzburg 1600 zu einem bedeutenden Kunstzentrum Mitteleuropas auf. Luxus nutzte er zur sozialen Selbstbehauptung und Inszenierung. Das Tolle an diesem Rundgang ist, dass Museumsbesucher den Dom nicht durch den Haupteingang betreten, sondern gleich zur Empore gelangen und dieselbe Perspektive einnehmen wie der Organist. So überblicken sie das ganze Hauptschiff. Am Übergang zwischen Residenz und Dom tut sich unerwartet eine Tür auf und man steht im Freien, auf einer Terrasse mit Blick Richtung Residenzplatz.

Kunst der verlorenen Generation. Unter den Arkaden spielt ein Violinist, Vivaldi mischt sich zum Hufgeklapper der Fiaker. Wie von selbst werden die Schritte zu St. Peter gelenkt. Der alte Friedhof schmiegt sich an die Felswand. Touristen strömen ein und aus, klettern die Stiegen hinauf zu den Kapellen und in den Stein gehauenen Katakomben.

In der Sigmund-Haffner-Gasse scheitert die Suche nach dem Musikhaus Katholnigg, das Geschäft gibt es nicht mehr. „Wir haben uns lange nicht gesehen“, „Kunst der verlorenen Generation“ ist auf einem Plakat an der Hauswand nebenan zu lesen. Stößt man hier die Tür auf und fährt mit dem Lift hinauf, steht man in einer Wohnung, die jener der Mozarts nicht unähnlich ist. Von beiden Seiten dringt Licht herein. Die Räume sind kaum möbliert. Schön restaurierte antike Stücke, die den Bildern an den Wänden kaum Konkurrenz machen. Was für Bilder! Von dem, was sie vermitteln – vom Ausdruck der Gesichter bis hin zu den Namen der Künstler – stellen sie Noch-nie-Gesehenes und doch irgendwie Vertrautes dar. Erinnern an Kokoschka oder Paul Klee. Seit Herbst 2017 zeigt der Sammler Heinz Böhme in diesem „Museum Kunst der verlorenen Generation“ einen Teil seiner ungewöhnlichen Sammlung: 300 Werke von Künstlern, die zwischen 1880 und 1910 geboren, dann als „entartete Maler“ vergessen, ermordet oder ins Exil getrieben wurden. Nun haben sie einen Platz gefunden, der nicht besser zu ihnen passen könnte.

Public Art auf Schritt und Tritt. Hier: Manfred Wakolbingers „Connection“.
Public Art auf Schritt und Tritt. Hier: Manfred Wakolbingers „Connection“.(c) Tourismus Salzburg / WoMA

Monumentale Sternform. Kein Salzburg ohne Mönchsberg. Aufstieg über die Holzmeister-Stiege. Kaum hören das Schnaufen und Herzklopfen auf, macht sich Stille breit. Nur Vogelgezwitscher und tiefster Wald inmitten der Stadt. Ein Schild zeigt den Weg zum Museum der Moderne, doch der Rundgang führt weiter über den Doktor-Herbert-Klein-Weg Richtung „Landschaftsschutzgebiet Leopoldskroner Weiher“. Eine grüne Wiese, unendlich weit. Begrenzt auf der einen Seite durch hohe Berge, auf der anderen durch die Festung Hohensalzburg.

Irgendwo da muss der „Krauthügel“ sein. Ein Projekt, das 2018 im Rahmen von „Kunst im öffentlichen Raum“ vom Amerikaner Paul Wallach realisiert wurde. Lange Reihen von strahlend weißen Blöcken ziehen sich durch die Landschaft. Wie ein riesiger Stern, der vom Himmel gefallen ist. Steht man unmittelbar davor, erkennt man die Struktur nicht, dann ist es einfach ein Stück Beton, auf das man sich setzen kann. Die Sternform ist nur aus der Ferne erkennbar, das heißt, von der Festung aus. Man müsste hinaufsteigen und sich zu den Besuchermassen dazugesellen, um das Kunstwerk als Kunstwerk zu erkennen. Das ist das Subtile daran. Andreas Gfrerer, „Wirt“ der Blauen Gans und Vorstandsmitglied der Salzburg Foundation, hatte mich auf dieses Oben-unten-Spiel des Künstlers aufmerksam gemacht und den Tipp gegeben.

Die nächste Station heißt Unipark Nonntal, das neue Universitätsgebäude, gedacht als Verbindungsglied zwischen dicht bebauter Altstadt und durchgrünten Vorstädten. Der mit dem Architekturpreis des Landes Salzburg 2012 ausgezeichnete Bau wird dafür gelobt, dass er auch die nicht universitäre Öffentlichkeit mit einbezieht, ihr Zutritt gewährt. Die Georg-Trakl-Allee nahe dem Institut für Germanistik ist ein Beispiel dafür: 14 Stelen hat der Salzburger Alexander Steinwendtner anlässlich des 100. Todestages des Dichters 2014 hier errichtet. Gefertigt aus weißem Marmor vom Untersberg – auch einer der Hausberge Salzburgs. Die Idee war, ein Denkmal zu entwickeln, dessen Grundlage das geschriebene Wort ist. Viel Austausch passierte damals ja über Briefe und Telegramme. Und so wurden handschriftliche Dokumente auf den Stein aufgetragen. Sie bedecken ihn wie eine Haut, wie ein Tattoo. Das Konzept lebt stark von der Farbigkeit des Materials. Der Stein verändert seine Tonalität je nach Tageszeit und Witterung.

Balkon. Kaum ein besserer Überblick über die Stadt als von der Steinterrasse.
Balkon. Kaum ein besserer Überblick über die Stadt als von der Steinterrasse. (c) Hotel Stein / Catalin Cucu

Aufkeimende Pop-ups. Auf dem Dach der Uni gibt es eine Terrasse – wieder so eine unerwartete Horizontale zwischen Boden und Berg. Ort für ein Treffen mit Eva Krallinger-Gruber, Expertin für die „Nicht-nur-Mozart-Stadt“. Gemeinsam mit ihrem Partner gründete sie die Stadtzeitung „Qwant“, ein Medium für die junge Zielgruppe, allein durch Inseratenverkauf finanziert. Sie merkt schon, dass es in der jungen Szene ein Erwachen gibt, erzählt sie. Anders als in Wien oder Berlin natürlich. „Aber die Leute arbeiten daran, Freiräume zu schaffen. Die Pop-up-Kultur boomt. Leerraumnutzung ist ein Thema. Da gibt es sogar einen Verein, der dabei unterstützt, ehemalige Geschäftslokale in kulturelle Handlungsräume umzugestalten.“ Auch das „Paradoxon“ in der nahen Zugallistraße hat als Pop-up begonnen. An den Wänden des Souterrains Graffiti. Im Service nur zwei Leute. Gäste dürfen ihr Gin Tonic an der Bar selber mixen. Auch das Achterl schenken sie sich selber ein, die Flaschen stehen aufgereiht auf einem langen Tisch. Die Weinkarte ist sozusagen begehbar. Auch das Bier kann jeder, der will, selbst zapfen. 

Kochen mit Schuss Ironie. Es soll sich etwas tun im Saal, meint Martin Kilga, der zu den gefeierten jungen Wilden Salzburgs gehört. Der 35-jährige Vorarlberger schwimmt gegen den Strom, er kocht das, „was er grad fühlt und sieht“. Das können Fish and Chips vom Zander sein oder auch Grammelknödel. Die Shrimps etwa duften herrlich, die Temperatur stimmt genau. Sie sind bissfest, aber doch angenehm glasig. Dazu drei selbstgemachte Saucen in Plastikflaschen, wie man es vom Junkfood her gewöhnt ist. Ein sympathischer Schuss Ironie. Die Gäste, erklärt Kilga, verstünden das schon. Es sind „Leute, die open-minded sind, die ein bissl was von der Welt gesehen haben und sich genauso in New York bei einem kleinen Mexikaner wohlfühlen wie hier in Salzburg. Nicht diese klassische Weiße-Tischwäsche-Generation.“

Infos

Besuchen: Salzburger Festspiele, 20. 7.–30. 8., salzburgerfestspiele.at.

Domquartier, Residenzplatz/Domplatz, domquartier.at

Museum der Moderne, Mönchsberg, museumdermoderne.at

Stefan Zweig Centre, Mönchsberg, Tel. 0662/804 476 41. 

Das Literaturarchiv, Residenzplatz, uni-salzburg.at

Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte, Waagplatz, Tel. 0662/845 346.

Museum Kunst der verlorenen Generation, Sigmund-Haffner-Gasse, verlorene-generation.com


Essen, Trinken: Seven Senses Rooftop Bar, Giselakai, 7-senses.at

Franziskischlössl, Kapuzinerberg, franziskischloessl.at

Restaurant Paradoxon, Zugalli­straße, restaurant-paradoxon.com


Wohnen: Arthotel Blaue Gans, Getreidegasse/Herbert-von-Karajan-Platz, blauegans.at


Unternehmen: Walk of Modern Art/Kunstwanderung, Salzburg Foundation, Mozartplatz, salzburgfoundation.at

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