Israel deklariert sich zum "nationalen Heim des jüdischen Volks"

Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzreform auf den Tel Aviver Jitzhak-Rabin-Platz gezogen.
Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzreform auf den Tel Aviver Jitzhak-Rabin-Platz gezogen. (c) APA/AFP/MARC ISRAEL SELLEM
  • Drucken

Die neue Definition des Judenstaats löst heftige Debatten aus. Auch Staatspräsident Rivlin distanzierte sich.

Jerusalem. In Israel wird es künftig offiziell möglich sein, rein jüdische oder arabische Ortschaften zu gründen. Die Knesset ratifizierte in der Nacht auf Donnerstag mit 62 zu 55 Stimmen das umstrittene Nationalstaatsgesetz mit dem Ziel, den „Charakter Israels als nationales Heim des jüdischen Volkes“ zu festigen. Das Rückkehrrecht für Juden aus aller Welt, nationale Symbole, jüdische Feiertage und Hebräisch als einzige offizielle Landessprache gehören dazu. Bisher war Arabisch ebenfalls als Landessprache anerkannt. Der exakte Status des Arabischen soll nun noch geregelt werden.

„Das Nationalstaatsgesetz ist zweifellos der Tiefpunkt der chronischen Krankheit, die die Demokratie plagt“, meinte der arabische Abgeordnete Ahmad Tibi. Ab sofort gebe es zwei Gruppen von Bürgern: „eine Gruppe der Juden, die Rechte hat, und eine andere der tolerierten Gäste“. Er fragte weiter, was das denn sei, wenn das kein Rassismus sei. Tibi repräsentiert die arabischen Staatsbürger Israels, die knapp 20 Prozent ausmachen.

Noch am Samstag waren einige Tausend Israelis aus Protest gegen die geplante Gesetzreform auf den Tel Aviver Jitzhak-Rabin-Platz gezogen. „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“, hieß es auf ihren Plakaten. „Das ist das Heim von uns allen.“ Auch Präsident Reuven Rivlin distanzierte sich auf für sein Amt ungewöhnlich scharfe Weise von dem Gesetz, das „dem jüdischen Volk in der Welt und in Israel“ schaden könne.

Entwicklung „jüdischer Ortschaften“

Seit Wochen kontrovers diskutiert wurde vor allem der Artikel 7 des Gesetzentwurfs, der die ethnisch und religiöse Homogenität von Dörfern und Städten regelt. Dazu gehört auch der Grad der Religiosität. Konkret ändert das neue Gesetz wenig. Ethnisch und religiös homogene Ortschaften sind seit Staatsgründung Praxis in Israel. Vor allem die sozialistischen Kibbuzim haben über die Jahrzehnte nicht nur keine Araber aufgenommen, sondern auch keine religiösen Juden. Umgekehrt sind zahlreiche arabische Dörfer ethnisch und religiös strikt homogen bevölkert, wobei sich der Wunsch der Juden Israels, in arabischen Ortschaften zu leben, nicht zuletzt aufgrund der sozioökonomischen Benachteiligung der Minderheit in Grenzen hält. Das neue Grundgesetz hebt allerdings speziell die Entwicklung „jüdischer Ortschaften“ hervor. Diese seien von „nationalem Wert“. Der Staat werde die Gründung und Entwicklung solcher Ortschaften ermutigen und unterstützen.

Kritik von Ex-Außenministerin Livni

Der Likud-Abgeordnete Amir Ohana, Befürworter des neuen Gesetzes, sprach sich in der Knesset für den Erhalt des jüdischen Charakters von Israel aus. „Wir haben nicht, wie die arabische Nation, 21 Staaten, sondern nur diesen einen einzigen, kleinen Staat.“ Nicht der konservative Likud brachte die Gesetzesinitiative vor zehn Jahren ein, sondern sie kam aus den Reihen der liberaleren Kadima, damals unter Führung von Tzipi Livni, die inzwischen zu den schärfsten Kritikerinnen zählt.

„Die Regierung steuert auf ein radikales Judentum zu, das in Stämmen lebt“, meinte Ex-Außenministerin Livni im Vorfeld des Votums. Das Gesetz ziele darauf ab, dass „Araber nicht zusammen mit Juden leben können“. Es sei Wasser auf die Mühlen jener Bewegung, die international zum Boykott von Israel und zu Sanktionen aufruft.

Auch das Israelische Demokratiezentrum (IDI) kritisierte das Grundgesetz, das Israels Unabhängigkeitserklärung und damit das Festhalten an gleichen Rechten für alle Staatsbürger ignoriere. Israel, so erinnert das IDI, gehöre zu den „wenigen Staaten der demokratischen Welt ohne eine Verfassung, die die Grundrechte festhält“. Die Tatsache, dass das neue Gesetz Israel als nationales Heim des jüdischen Volkes definiert, ohne das Prinzip der Gleichberechtigung für alle Bürger festzuhalten, könnte „zu einer Unausgewogenheit zwischen dem jüdischen Staat und seinen demokratischen Werten führen“.

Jussef Dschabarin von der antizionistischen Vereinten Liste fühlt sich degradiert – „von einem Bürger zweiter Klasse zu einem dritter Klasse“. Seine Parteichef, Aiman Auda, zeigte während der Debatte eine schwarze Flagge. Er wandte sich auf Arabisch an seine Kinder: „Dieser Staat ist nicht euer Staat.“ „Aber“, sagte er, „das ist unsere Heimat.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Orbán und Netanjahu Seite an Seite in Jerusalem im Kampf gegen den "radikalen Islam".
Außenpolitik

Orbán in Israel: Null Toleranz für Antisemitismus in Ungarn

Osteuropäer seien weniger antisemitische als Westeuropäer, sagte der ungarische Premier. Demonstranten blockierten Orbáns Wagen nach dessen Besuch in der Gedenkstätte Yad-Vashem.
Weekly cabinet meeting at Netanyahu's office in Jerusalem
Außenpolitik

Israel will noch jüdischer werden

Israels Parlament verabschiedet ein umstrittenes "Nationalitätengesetz". Der jüdische Charakter des Landes soll gestärkt werden. Regierungschef Netanjahu spricht von einem "Schlüsselmoment".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.