Himmlers Rede und Deutschlands Kinonacht

In Graz und Wien: Das Schaffen Romuald Karmakars und eine alternative deutsche Filmgeschichte.

Das zeitgenössische deutsche Kino kennt Poesie nur dem Namen nach: Es ist kein Platz zwischen der Askese offizieller Prestigefilme und dem donnernden, alle Schönheit plattwalzenden Populismus vom Schuh des Manitu zum Untergang. „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort“, beginnt Joseph Freiherr von Eichendorffs Gedicht „Wünschelrute“, das rechtens vermutet, dass das Musische überall liegen kann: auch und gerade im Monströsen.

Das Österreichische Filmmuseum bietet nun eine alternative, von Scheuklappen befreite Historienschau des deutschen Kinos: „Deutschland in der Nacht“ umarmt kaum bekannte Preziosen ebenso wie Filme von Werner Herzog (Woyzeck, 1979) oder Rainer Werner Fassbinder (Händler der vier Jahreszeiten, 1972). Im Gegensatz zum leichtverdaulichen Geschichtsbrei aus der Eichinger-Produktionsfabrik regiert Verunsicherung. Irritationen liebt auch Filmemacher Romuald Karmakar, dessen Schaffen Apotheose und zwingende Weiterführung dieses deutschen Nachtschattenkinos ist und parallel im Filmmuseum und auf der Grazer Diagonale läuft: Karmakar, Visionär aus Wiesbaden, brilliert beim Spielfilm (Der Totmacher, 1995) wie mit abseits der Fördertöpfe entstandenem Digitalkino. Er begegnet seinen Themen, Geschichten und Figuren mit Respekt, frei von Schnellschussmeinungen.

Drei Stunden donnernde Nazirhetorik

Im Zentralwerk Das Himmler-Projekt (2000) lässt Karmakar Heinrich Himmlers erste Posener Rede vollinhaltlich, inklusive Versprecher von Schauspieltitan Manfred Zapatka, verlesen: Drei Stunden nichts als die giftigen Worte donnernder Nazirhetorik und eine graue Wand. Karmakars radikaler Minimalismus verunmöglicht das Spekulative, die Liebäugelei mit dem Monströsen; nur kalte Wörter bleiben, fliegen in diesem unheimlichsten aller Filme durch den Raum.

Karmakars Kino ist frei, weil es sich Widersprüchen und Unvereinbarkeiten aussetzt, neugierig in fremde Welten eintaucht, über seine Bilder Verständnis lehren will: In Villalobos (2009) erweist sich der gleichnamige DJ-Gott nach längerer Beobachtung als Arbeiter und nicht als Klubkultur-Hedonist, im Kurzdokument Ramses (2009) erzählt ein iranischstämmiger Sexlokalinhaber launig, unverschämt von früheren Exzessen, die im nüchternen Jetzt von virtuellen Vergnügungen ersetzt sind.

Auch das ein „Deutschland in der Nacht“, das nur mehr im Randständigen sein darf. Im Zentrum der Retrospektive und von Karmakars Kino steht das Verhältnis von Kino zur Geschichte: Als 1931 Heinrich George durch Berlin – Alexanderplatz plärrt, tanzen schon die Schatten der Zukunft an den Wänden. Die Schatten werden in Veit Harlans todessehnsüchtigem wie lebenshungrigem Melodram Opfergang (1944) zu Agfacolor-Unwirklichkeit – die Christoph Schlingensiefs Version Mutters Maske (1988) demontiert: Da reitet die Bourgeoisie auf spießigen Ponys statt weißen Schimmeln. Das ist die verlorene Poesie im deutschen Kino: eine exotische Blume, von Konsens-Unkraut überwuchert. „Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“, schließt Eichendorff sein Gedicht. Oder, wie ein Karmakar-Titel lautet: Die Nacht singt ihre Lieder (2004). Zeit, wieder hinzuhören.

Bis 8.4. im Wiener Filmmuseum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2010)

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