Wenn die Straße zur Bühne wird

Jack Flash alias Gavin Hay auf der Landstraße in Linz. Der gebürtige Australier ist heuer zum geschätzt zehnten Mal dabei.
Jack Flash alias Gavin Hay auf der Landstraße in Linz. Der gebürtige Australier ist heuer zum geschätzt zehnten Mal dabei.(c) Hermann Wakolbinger
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Seit 1987 findet in Linz das „Pflasterspektakel“ statt: 110 Künstler aus 30 Nationen zeigen auf den Straßen der Landeshauptstadt ihr Können – und machen die Stadt damit wieder ein Stück sympathischer.

Natürlich wird er nicht herunterfallen. Nur die echten Könner schaffen es, ein Kunststück so unsicher und gefährlich aussehen zu lassen. Jack Flash wackelt nach links, er wackelt nach rechts – „wui“, macht jemand aus dem Publikum –, ein kurzer Schwung und dann steht Jack schon auf seinen Händen, den Kopf nach unten, die Füße nach oben etwa drei Meter über dem Boden auf einem kleinen Sessel mit einer Fläche von vielleicht 20 mal 20 Zentimeter, der auf der Spitze einer dünnen Stange befestigt ist.

Drei Männer unten am Boden halten Seile, die am Sessel festgemacht sind. Einem stehen dicke Schweißperlen auf der Stirn. „Die Seile straff halten“, hatte Jack die Helfer ermahnt, „mein Leben hängt daran.“ Und dann ist der Handstand auch schon wieder vorbei, Jack setzt sich auf den winzigen Sessel und die Menschen, die rundum stehen, klatschen laut. Das war der Höhepunkt der Show. „Schauma weiter zum nächsten“, flüstert ein Zuschauer seiner Begleitung zu, und schon entschwinden die beiden.

Es ist an diesem Tag leicht, zum nächsten Straßenkünstler zu schauen. Die Linzer Innenstadt ist voll von Akrobaten, Clowns, Tänzern, Zauberern. Zum bereits 32. Mal findet das „Pflasterspektakel“ statt, zu dem heuer 110 Artisten und Gruppen aus 30 Nationen gekommen sind.


Unterschätzte Stadt. Eine einzigartige Veranstaltung – und eine, die Linz, die zweifellos meist unterschätzte Stadt Österreichs, wieder ein Stückchen sympathischer und freundlicher macht. Wie viel, das in den vergangenen Jahren in der oft übersehenen oberösterreichischen Landeshauptstadt passiert ist. Das Lentos-Kunstmuseum etwa – man muss sich erst einmal trauen, dieses futuristische Tor zur barocken Stadt an das Donauufer zu bauen. Und ihm dann noch das Ars Electronica Center auf der anderen Seite gegenüberzustellen.

Linz hat sich von einer peinlichen Provinzstadt zu einer kleinen Großstadt gemausert mit mondänen Einsprengseln und viel Lebensqualität. Die Landstraße, die lange Einkaufsstraße im Zentrum der Stadt, ist, was die Mariahilfer Straße in Wien mit der umstrittenen Fußgängerzone gern wäre: Hier flaniert man, man lustwandelt – ein in unserer hektischen Zeit fast schon vergessener Begriff. Man schaut in die Schaufenster, man schaut in die Luft, man schaut im prächtigen Gastgarten vom „Klosterhof“ vorbei, wenn man jemanden trifft, den man kennt. Insofern ist das Pflasterspektakel auch ein gesellschaftliches Ereignis, das die Einwohner zusammenbringt, weil man bei fast jeder Aufführung irgendjemanden trifft, den man kennt.

Bei Jack Flash beispielsweise, der an diesem Nachmittag auf der Promenade auftritt. Der 47-Jährige ist zum geschätzt zehnten Mal dabei, ein Urgestein des Festivals, das 1987 zum ersten Mal stattfand. Damals musste der Initiator, der umtriebige ehemalige Leiter des Kulturamts Linz, Siegbert Janko, noch aktiv nach Künstlern suchen. Jetzt bieten sie sich an – heuer gab es 800 Bewerber, aus denen die Organisatoren auswählen konnten.


200.000 Besucher. Man entschied sich beispielsweise für 24 Musikgruppen, die mit Folk, Swing und Brass viel Stimmung in die Stadt bringen. Immer begleitet von einem Festivalmitarbeiter, der zwei dezente Schilder bei sich hat: Eines mit einem durchgestrichenen Lautsprecher – das Zeichen dafür, dass die Band zu laut spielt –, eines mit einer durchgestrichenen Uhr – die Mahnung, dass die Zeit für den Auftritt vorbei ist.

Denn die Darbietungen sind im Stundenrhythmus durchgetaktet. Bis gestern, Samstag, als das Pflasterspektakel endete, waren es insgesamt 725 Aufführungen. Dazu kommen die Samba-Umzüge am Abend durch die Landstraße, bei denen halb Linz dabei zu sein scheint. Mit etwa 200.000 Besuchern gehört das Pflasterspektakel zu einem der größten und beliebtesten Straßenkunstfestivals in Europa.

„Das Publikum ist super – und vor allem großzügig“, sagt Jack Flash, der eigentlich Gavin Hay heißt. Den Künstlernamen hat er sich von dem Rolling-Stones-Lied geliehen, nur das „Jumpin'“ durfte er aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Namen führen.

Dabei springt er viel, der gebürtige Australier, der sich seit 28 Jahren auf den Straßen Europas und Asiens seinen Lebensunterhalt verdient. Mittlerweile lebt er in Kroatien, wo er vor 15 Jahren seine spätere Ehefrau kennengelernt ha. Zu zehn, 15 Festivals reise er pro Jahr, erzählt Gavin, besonders gern nach Linz. Eben wegen der Großzügigkeit, denn die Künstler werden für ihre Auftritte nicht bezahlt, sondern spielen für das Hutgeld.

Wie viel pro Auftritt zusammenkommt, will der 47-Jährige nicht sagen. „Es schauen etwa 80 bis 100 Menschen zu. Wenn jeder ein paar Euro gibt, kann man sich das ungefähr ausrechnen.“ Drei Auftritte absolvieren die 110 Künstler pro Tag an verschiedenen Standorten in Linz. Am wichtigsten sei es, erklärt Gavin, eine Verbindung zu den Zuschauern aufzubauen, man müsse sympathisch sein – dann knistert es mehr im Hut, als es klimpert.

Weiter unten etwa, am Beginn der Landstraße, wo das Duo Looky eine atemberaubende Akrobatikshow bietet. Ya-Ya hat Ballett gelernt und spaziert jetzt im Spitzentanz über halbvolle Flaschen. „Wenn i des kann, mache i des aber sicher nicht da auf der Straße“, meint ein Zuschauer. Ya-Ya und Gal Baz, die das Duo bilden, machen das auch nicht nur auf der Straße, sondern treten auch im Zirkus auf.

Gavin Hay meint, er möchte nichts anderes machen, als Straßenshows. „Das ist ein ungebundenes Leben, ich bin viel unterwegs, ich lerne viele Menschen kennen – ich liebe es.“ Er habe einen elf Jahre alten Sohn, der sich ein wenig für das interessiere, was der Papa macht. „Ich will ihn nicht zwingen, aber ich träume davon, dass wir gemeinsam auftreten.“ Bis dahin ist freilich noch viel Arbeit nötig. Denn das Jonglieren habe der Junior überhaupt nicht drauf – und das ist das Basiskönnen jedes Straßenkünstlers.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2018)

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