ÖBB-Betriebsrat: "Kunden bleiben auf der Strecke"

oeBBBetriebsrat Kunden bleiben Strecke
oeBBBetriebsrat Kunden bleiben Strecke(c) APA (Herbert Pfarrhofer)
  • Drucken

Wilhelm Haberzettl kritisiert, dass die ÖBB "mehr Baufirma als Beförderungsunternehmen" sei. Der ÖBB-Betriebsratschef plädiert für einen internen Arbeitsmarkt, um vorzeitige "Zwangspensionierungen" zu reduzieren.

ÖBB-Konzernbetriebsratschef Wilhelm Haberzettl sieht bei der Bahn in den vergangenen Jahren vieles schief gelaufen. Service, Qualität, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit der Bahn gehörten wieder ins Zentrum gerückt, fordert er "Wir waren in letzter Zeit mehr Baufirma als Beförderungsunternehmen", meint der ehemalige Fahrdienstleiter aus St. Pölten. Derzeit fielen die Entscheidungen sehr baubereichslastig: "Der Kunde bleibt auf der Strecke". Sein Wunsch an die neue ÖBB-Führung: Das Management müsse so agieren, "dass der Kunde im Vordergrund steht, nicht die Baufirma".

Sparen will der SPÖ-Nationalratsabgeordnete bei der stark gewachsenen Führung: Durch die Reform 2004 habe sich die Zahl der ÖBB-Manager in der ersten Führungsebene versechsfacht, kritisiert er. Die Köpfe der ersten Führungsebene sollten um 40 Prozent reduziert werden. Durch die Reform entstandene Doppelgleisigkeiten seien noch lange nicht beseitigt: Durch die Wieder-Zusammenführung der Infrastruktur Bau und der Infrastruktur Betrieb gebe es dort nun alle Strukturen doppelt, das sei auch eine Aufgabe für den "internen Arbeitsmarkt".

Interner Arbeitsmarkt für Fachkräfte

Einem internen Arbeitsmarkt auch für Beschäftigte im mittleren Alter kann Haberzettl viel abgewinnen. Es fehlten sogar Facharbeiter, etwa im Gleisbaubereich, wo rund 300 Mitarbeiter mit gleisbau-spezifischer Ausbildung gebraucht würden. Um die Motivation macht sich der Gewerkschafter keine Sorgen, denn die Zeit der unkündbaren Bahn-Bediensteten gehe ohnehin dem Ende zu. Mit Motivationsgesprächen könnten Mitarbeiter in Bereichen, wo durch technische Entwicklung und Rationalisierungen weniger Leute gebraucht würden, sicher von einem Wechsel in eine zukunftsträchtigere Sparte überzeugt werden.

Zwangspensionierungen schaden Eisenbahnern

Die Kritik am niedrigen Pensionsantrittsalter bei den ÖBB will der Gewerkschafter so nicht im Raum stehen lassen. "Huber und Nigl waren die fleißigsten Zwangspensionierer der ÖBB", verweist er auf den ehemaligen Bahnchef und den früheren Personalchef der Bahn. So seien Mitarbeiter in Pension geschickt worden, die Leistungen dann privatisiert und die Arbeit privat vergeben. Auch sei die frühe Pension für die Betroffenen finanziell kein gutes Geschäft: Wer etwa mit 52 in den Ruhestand geschickt werde, habe 17 bis 20 Prozent Abschläge auf die Pension zu verkraften - und zwar auf ewig. Die neue Vorgabe von SPÖ-Infrastrukturministerin Doris Bures, das Pensionsantrittsalter bei der Bundesbahn jährlich um ein Jahr anzuheben, hält Haberzettl für durchaus machbar.

Kern hoffentlich "Vielverdiener, der es wert ist"

Die Rolle des Koalitionspartners sieht der SPÖ-Politiker differenziert: Die Kür des künftigen ÖBB-Vorstandschefs Christian Kern, Wunschkandidat der Sozialdemokraten, sei im Aufsichtsrat einstimmig erfolgt - auch mit den Stimmen des ÖVP-Freundeskreises - und die Industriellenvereinigung habe dem Verbund-Manager Kern fast Rosen gestreut. Dies könne "ein neuer konstruktiver Anfang" werden, meint Haberzettl.  Dass Kern um 100.000 Euro mehr verdienen soll als sein Vorgänger Peter Klugar, scheint für Haberzettl kein Problem zu sein. Erstens sei Klugar "kein Fettverdiener" gewesen, zweitens hofft er, dass der Noch-Verbund-Vorstand ein "Vielverdiener ist, der es wert ist".

ÖVP soll sich zu eigenem Kind bekennen

Andererseits wolle die ÖVP den Güterverkehr privatisieren und mache auch in anderen Bereichen Druck auf die Privatisierung - eine Teilprivatisierung des Güterverkehrs wäre aber aus Sicht Haberzettls "grob fahrlässig". In besseren Zeiten würden hier die besten Erträge erwirtschaftet. Haberzettl vermisst überhaupt ein Grundsatzbekenntnis des Koalitionspartners zur ÖBB - die ÖVP solle sich endlich zur "Anerkennung des eigenen Kindes" durchringen.

Pflegegeldforderung "aus der Luft gegriffen"

Die von ÖVP-Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka geforderten 400 Millionen Euro an Aufwandsersatz für Pflegegeld sind für den Bahngewerkschafter "völlig aus der Luft gegriffen". Die ÖBB hätten vom Bund lediglich 100 Millionen Euro "oder geringfügig weniger" zu viel kassiert. Der Rechnungshof geht von 115,7 Millionen Euro aus. Haberzettl ist "sehr verwundert, dass sich der Staatssekretär auf einmal so kritisch äußert", immerhin sei seit 1993 jedes Monat mit dem Finanzministerium abgerechnet worden. Man müsse das Thema "juristisch ausfechten".

Freikartendebatte "schwachsinnig"

Auch die seit Inkrafttreten des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003 vom Finanzressort vertretene Ansicht in puncto Freifahrten für Mitarbeiter hält er für "schwachsinnig". Das Ministerium betrachte nämlich nur mehr die ÖBB-Personenverkehrs AG und die Postbus GmbH als Verkehrsunternehmen. Das habe zur Folge, dass beispielsweise die zur Traktion gehörenden Lokführer die Fahrbegünstigung versteuern müssen, Zugbegleiter aber nicht.

Politik soll sich ruhig einmischen

Nicht realistisch ist für den ÖBB-Betriebsratschef die von mehreren Seiten erhobene Forderung, die Politik solle sich aus den ÖBB mehr heraushalten. Der Bund sei der größte Besteller im gemeinwirtschaftlichen Bereich, die Infrastruktur werde zum Großteil vom Staat finanziert, erinnert er.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Sparbudget bremst Autobahn Bahnausbau
Österreich

Sparbudget bremst Autobahn- und Bahnausbau

Die Lobau wird nicht - wie geplant - untertunnelt. Außerdem verschiebt die Asfinag den zweiten Abschnitt der Nordautobahn und die Südostautobahn A3. Auch die ÖBB müssen einige Projekte neu bewerten.
Österreich

"Die ÖBB haben immer noch ein Qualitätsproblem"

Laut neuem ÖBB-Vorstand Seiser braucht die Bahn vor allem mehr moderne Waggons: "Man kann nicht versuchen, mit einem Waggon Baujahr 1956 Topqualität zu bringen.“ Er setzt dabei vor allem auf den Railjet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.