Fußball und Integration: Özil und das gespaltene Deutschland

Fotos mit dem Trikot der deutschen Nationalmannschaft wird es für Mesut Özil so bald nicht mehr geben. Er gab am Sonntag seinen Rücktritt bekannt.
Fotos mit dem Trikot der deutschen Nationalmannschaft wird es für Mesut Özil so bald nicht mehr geben. Er gab am Sonntag seinen Rücktritt bekannt.(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Mesut Özils Rücktritt ist wie sein Auslöser, ein Foto mit Erdoğan, hochpolitisch: Das Land spricht weniger über seine Mannschaft als über Integration und Rassismus.

Berlin. Mesut Özil verfolgte am Sonntag für sein Endspiel mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) eine klare Taktik: Zuerst die Erklärung, dann der Angriff – und zum Schluss der Rückzug. In drei langen Beiträgen auf Facebook und anderen Kanälen nahm er zu den Bildern Stellung, die ihn seit zwei Monaten verfolgen: jene Fotos, auf denen er gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, mit seinem Fußballtrikot posierte. Mit teilweise schweren Vorwürfen an den DFB, aber auch an Medien.

Zwischen den drei Stellungnahmen ließ Özil mehrere Stunden verstreichen, keine seiner Botschaften sollte unbeachtet bleiben. Am Abend verkündete er dann die überraschendste: „Mit schwerem Herzen werde ich wegen der jüngsten Ereignisse nicht mehr für Deutschland auf internationaler Ebene spielen.“ Özil trat damit aus dem deutschen Nationalteam aus.

Seine Entscheidung war wie der Auslöser für den Rückzug: hochpolitisch. In Deutschland führte sie zu einer Debatte auf mehreren Ebenen: zunächst einer persönlichen, über Özil selbst und seine Beweggründe. Aber auch einer gesellschaftlichen: über den deutschen Fußball, strukturellen Rassismus – und die Identifikation von Menschen mit Migrationshintergrund.

Schon länger wurde darüber gerätselt, was Özil dazu veranlasst hatte, gemeinsam mit Erdoğan zu posieren: Als besonders politisch galt der Fußballspieler nicht. War er also in diesem Bereich einfach naiv? War es doch eine bewusste Unterstützung für den Präsidenten, der sich wenige Wochen später der Wahl stellen sollte? Oder einfach „keine glückliche Aktion“, wie es Bundestrainer Joachim Löw nannte? Özil gab seit dem 14. Mai, als die Bilder veröffentlicht wurden, keine Antwort darauf. Bis zum Sonntag.

Özil: „Ich habe zwei Herzen“

„Wie bei vielen anderen Leuten geht meine Abstammung auf mehr als nur ein Land zurück. Ich habe zwei Herzen, ein deutsches und ein türkisches“, schreibt er – übrigens weder auf Deutsch noch auf Türkisch, sondern auf Englisch, wie bei ihm üblich auf Facebook. „Die Ablehnung eines Treffens mit dem Präsidenten wäre respektlos gegenüber den Wurzeln meiner Vorfahren gewesen.“ Aber, meint Özil: „Für mich hat es keine Rolle gespielt, wer der Präsident war, sondern dass es der Präsident war.“ Wer auch immer dieses Amt ausgeführt hätte – „ich hätte das Bild in jedem Fall gemacht“.

Dass ein Bild eine solche Debatte auslöse, hänge wohl auch mit seinen Wurzeln zusammen. Denn der Ex-Spitzenfußballer Lothar Matthäus habe für ein Treffen „mit einem anderen Weltführer (Russlands Präsidenten Wladimir Putin, Anm.) „fast gar keine Kritik“ bekommen. DFB-Präsident Reinhard Grindel habe „seine Meinung herabgesetzt“ und ihn für das WM-Aus verantwortlich gemacht. „In seinen Augen bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren.“ Solang er „dieses Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit“ verspüre, werde er nicht für Deutschland spielen.

Der DFB veröffentlichte daraufhin eine Erklärung – und dankte darin Özil zwar für 92 Länderspiele, wies aber den Rassismusvorwurf zurück. Man engagiere sich seit Jahren für Integration.

Grüne: „Respekt zolle ich Demokraten“

Kritik kam auch vom früheren Grünen-Chef Cem Özdemir. Er halte Özils Rechtfertigung für falsch: „Mit dem Alleinherrscher Erdoğan zu posieren, empfinde ich als respektlos denen gegenüber, die in der Türkei willkürlich im Gefängnis sitzen. Respekt zolle ich nur Demokraten.“ Und viele Deutschtürken würden es genauso sehen. Recht habe Özil allerdings damit, dass der DFB je nach Herkunft „mit zweierlei Maß“ messe, findet Özdemir. Und Justizministerin Katarina Barley (SPD) sieht die Rassismusvorwürfe des zurückgetretenen Fußball-Nationalspielers Mesut Özil gegen den DFB als „Alarmzeichen“ für ein tieferliegendes gesellschaftliches Problem.

Und was sagt der zuständige Minister für Sport und Integration? Nichts – Horst Seehofer will die Causa nicht kommentieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Rücktrittsentscheidung respektieren, bewerten wolle sie sie aber nicht.

Seinem Klub, dem FC Arsenal, bleibt Özil weiterhin treu. Am Montag veröffentlichte der Londoner Verein seine eigenen Fotos von Özil: beim Training in Singapur. Bildüberschrift: „Es ist schön, dich wieder zurückzuhaben.“

Auf einen Blick

Ein Foto und ein Rücktritt. Sollte es eine Wahlkampfhilfe werden, war es politische Naivität oder einfach „keine glückliche Aktion“, wie es Bundestrainer Joachim Löw nannte? Am vergangenen 14. Mai, einen Tag vor der Nominierung des vorläufigen WM-Kaders, tauchten Fotos der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mit Recep Tayyip Erdoğan auf, auf denen sie mit einem Trikot posieren. Die Bilder sorgten für heftige Debatten und am Sonntagabend schließlich auch zu Özils Rücktritt aus dem Nationalteam. Er kritisierte unter anderem fehlenden Rückhalt im DFB.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2018)

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