Bootsflüchtlinge: EU-Asyllösung zu hohem Preis

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Brüssel will Aufnahmezentren in der EU und Ausschiffungszentren in Drittstaaten aus dem EU-Budget finanzieren. Damit sollen sie für betroffene Länder attraktiv werden.

Brüssel. „Wir sind bereit, die Mitgliedstaaten und Drittstaaten zu unterstützen, um eine bessere Zusammenarbeit bei der Ausschiffung von auf See geretteten Menschen zu erreichen.“ EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos hat am Dienstag Vorschläge für ein künftiges EU-Asylsystem vorgelegt, das zwar erheblich mehr kosten würde, den Einwanderungsdruck aber reduzieren könnte. Der Vorschlag, der von allen Mitgliedstaaten mitgetragen werden müsste, umfasst zwei neue Einrichtungen:

Kontrollierte Zentren in der EU

Mitgliedstaaten wie Italien oder Griechenland, die mit der Abwicklung der Migrationswellen über das Mittelmeer nicht mehr zurande kommen, sollen künftig durch EU-finanzierte Zentren entlastet werden. Geplant ist die Errichtung von kontrollierten Zentren, in denen innerhalb von vier bis acht Wochen über jeden Bootsflüchtling entschieden wird. Von der EU finanzierte Teams sollen hier zuerst alle Personen registrieren und danach prüfen, wer schutzbedürftig ist oder umgehend in sein Herkunftsland zurückgebracht werden muss. Die freiwillige oder zwangsweise Rückführung würde von hier aus mit EU-Geldern abgewickelt. Deshalb wäre es laut dem vorliegenden Plan auch möglich, dass abgelehnte Asylwerber aus anderen EU-Mitgliedsländern über solche Zentren zurückgeschoben werden. Dieser Passus kommt den Forderungen der österreichischen Regierung entgegen, die allerdings reine Abschiebelager am Rande der EU in Nachbarländern wie Albanien einrichten wollte.

Zwar sollen die Zentren formal von den betroffenen Mitgliedstaaten geführt werden, finanziert würden sie aber großteils aus dem Gemeinschaftsbudget. Die EU würde zudem wie bisher 6000 Euro pro Person an jene Mitgliedstaaten zahlen, die Asylberechtigte freiwillig übernehmen.

Ein Pilotprojekt mit einer Kapazität für 500 Migranten soll in naher Zukunft starten, mit dem erste Erfahrungen gesammelt werden können. Für diese Einrichtung sollen von der EU 50 Grenzschutzbeamte, 50 Dolmetscher, 20 bis 40 Sicherheitsbeamte für Rückführungen, 5 bis 10 Beamte zur Abwicklung von Rückführungen, 25 bis 35 Experten für die Registrierung, nochmals so viele für die Asylprüfung, 10 bis 25 Beamte für die Abwicklung freiwilliger Rückführungen sowie medizinisches und sicherheitstechnisches Personal bereitgestellt werden. Eine Schätzung der Gesamtkosten für den Betrieb eines solchen Zentrums wurde vorerst nicht veröffentlicht, sie dürften aber in die Millionen gehen.

Ausschiffungspartnerschaften

Damit künftig deutlich weniger Menschen versuchen, auf eigene Faust über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, schlägt die EU-Kommission zudem Ausschiffungsvereinbarungen mit Drittstaaten vor. Auch sie müssten aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert werden. In Zusammenarbeit mit UNHCR und IOM, den Flüchtlingsexperten der UNO, sollen Bootsflüchtlinge konsequent bereits an den Küsten Nordafrikas abgefangen und in Zentren weit im Hinterland transportiert werden. Dies hat den Zweck, sie davon abzuhalten, rasch wieder über das Mittelmeer Richtung Europa aufzubrechen.

Im Gegensatz zur problematischen Lage in Libyen, wo die EU derzeit die Küstenwache mitfinanziert, um Bootsflüchtlinge zurückzubringen, sollen diese aufgegriffenen Menschen nicht in dubiose Lager abgeschoben werden, sondern in Zentren, in denen ihre Sicherheit gewährt werden kann. In den Lagern sollen so wie in den Zentren innerhalb der EU alle Ankommenden registriert werden. Von hier aus kann danach eine freiwillige Rückkehr in das Herkunftsland oder im Fall von Schutzbedürftigen ein „Resettlement“ in ein Aufnahmeland organisiert werden. Nach Vorstellung der EU-Kommission sollen sich nicht nur Mitgliedstaaten, sondern auch Drittländer an diesem Resettlement beteiligen. Um einen Pull-Faktor bei diesen Lagern zu verhindern, soll klar festgelegt sein, dass nicht alle Schutzbedürftige von hier aus in der EU übernommen werden.

Nachdem die meisten nordafrikanischen Länder signalisiert haben, dass sie nicht bereit wären, solche Zentren auf ihrem Territorium zu akzeptieren, will Brüssel dies finanziell schmackhaft machen. Die EU würde von der Ausbildung und Ausstattung der Küstenwache über die Registrierung, die Rückkehrhilfe bis hin zur Ausstattung der Zentren die meisten Kosten übernehmen.

Situation am Mittelmeer

54.460 Flüchtlinge und Migranten sind laut UNHCR seit Jahresbeginn über das Mittelmeer nach Europa gelangt. Die Zahl hat sich zuletzt deutlich reduziert. Im Vergleichszeitraum des Vorjahrs sind es etwa doppelt so viele gewesen.

23.993 Flüchtlinge und Migranten kamen in Spanien an. Die Fluchtroute hat sich von Griechenland und Italien in den Westen verschoben.

1477 Menschen kamen dieses Jahr bei ihrem Versuch, das Mittelmeer in Richtung EU zu überqueren, ums Leben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2018)

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