Grazer Identitären-Prozess: Großteils Freisprüche

FORTSETZUNG DES PROZESSES GEGEN MITGLIEDER DER IDENTITAeTEN BEWEGUNG OeSTERREICH (IBOe) IN GRAZ
FORTSETZUNG DES PROZESSES GEGEN MITGLIEDER DER IDENTITAeTEN BEWEGUNG OeSTERREICH (IBOe) IN GRAZAPA/STRINGER/APA-POOL
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Im Grazer Landesgericht wurden alle 17 Angeklagten - diese sind Mitglieder der ultrarechten "Identitären Bewegung Österreich" - vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und vom Vorwurf der Verhetzung freigesprochen. Zwei Angeklagte bekamen Geldstrafen.

Am zehnten Verhandlungstag im Prozess gegen 17 Vertreter der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) wurde heute das Urteil verkündet. Die Angeklagten wurden vom Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Verhetzung freigesprochen. Zwei Angeklagte wurden zu Geldstrafen wegen Sachbeschädigungen, einer wegen Körperverletzung und Nötigung verurteilt. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Die Verurteilungen bezogen sich auf eine IBÖ-Aktion im weststeirischen Maria Lankowitz sowie auf jene in der Universität Klagenfurt. Bei letzterer erkannte der Richter eine Körperverletzung und eine Nötigung, da der Beschuldigte dem Rektor in den Bauch geschlagen haben soll. Der Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe von 720 Euro verurteilt. Der andere Beschuldigte muss wegen Sachbeschädigung eine Strafe in der Höhe von 240 Euro bezahlen.

Richter: "Bedeutungsinhalt mehrdeutig"

"Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben", lautete die Kernaussage der Urteilsbegründung. Der Richter erklärte, die Verhetzung sei zwar "unstrittig", der Bedeutungsinhalt sei aber mehrdeutig, daher wären die Anhänger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) Angeklagten großteils freizusprechen.

Der Richter - der namentlich nicht genannt sein wollte - ging in seiner ausführliche Urteilsbegründung auf die einzelnen Aktionen der IBÖ ein und begründete, warum alle 17 Angeklagten vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung und der Verhetzung freigesprochen wurden. So sei seiner Meinung nach das Transparent "Islamisierung tötet", das vom Dach der Parteizentrale der Grazer Grünen heruntergelassen wurde "keine Kritik am Islam, sondern an der Grünen-Politik und dem radikalen Islamismus."

"Gefahr des radikalen Islam gegeben"

Die Aktion an der Klagenfurter Universität, bei der eine Vorlesung gestürmt worden war, "wies auf Gefahren des politischen und radikalen Islam hin, und diese waren im Herbst 2016 gegeben", so die Urteilsbegründung. Der Slogan der IBÖ "Integration ist Lüge" richte sich "nicht gegen Integration, sondern gegen eine verfehlte Politik." Die Lehrveranstaltung, die gestört worden war, hatte das Ziel, Integration zu fördern. "Diese Meinung kann man teilen, muss man aber nicht", meinte der Richter.

Da die Verhetzung weggefallen sei, "ist auch das Thema kriminelle Vereinigung abgehakt". Die Sachbeschädigungen seien keine Begründung für eine kriminelle Vereinigung, schloss der Richter.

Angeklagte zwischen 22 und 35 Jahren

Die 17 Anhänger - 16 Männer und eine Frau - hatten sich seit 4. Juli im Grazer Straflandesgericht wegen Teilnahme an einer wegen krimineller Vereinigung, in einigen Fällen wegen Verhetzung, Sachbeschädigung und Nötigung sowie in einem Fall wegen Körperverletzung verantworten müssen.

Den zehn führenden Mitglieder und sieben aktive Sympathisanten der Bewegung, die zwischen 22 und 35 Jahre alt sind, wurde die Verbreitung von "radikaler, fremden- und islamfeindlicher Ideologie" und der Verkauf von Propagandamaterial über das Internet vorgeworfen. Zehn Angeklagte sind Studenten, einer geht in die Schule, mehrere sind Handwerker. Sie kommen aus der Steiermark, Kärnten und Oberösterreich.

Aktionen im Fokus

Im Mittelpunkt des Prozesses standen auch mehrere Aktionen der Identitären, die die Angeklagten nicht abstritten. Mitglieder der IBÖ hatten etwa am Dachfirst des Büros der steirischen Grünen ein Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung tötet" angebracht und mit Theaterblut übergossen.

Bei einem weiteren Vorfall wurde eine Vorlesung zum Thema "Inklusionsbegleiter/innen: Flucht, Asyl, Migration" an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt gestürmt, im Lehrsaal entrollten die Identitären Transparente und verteilten Flugblätter. Dabei stellten sie auch die Steinigung eines Österreichers durch Frauen in Burkas dar. Weiters diskutiert wurden ein Transparent mit der Aufschrift "Erdogan - hol deine Türken ham" am türkischen Generalkonsulat in Wien und an türkisch-stämmige Personen verteilte "Flugtickets" mit der Aufschrift "Guten Heimflug".

Kritik am Prozess

An dem Prozess wurde aber auch viel Kritik geübt. Zahlreiche Politiker und Experten fürchteten, dass er sich zu sehr in Richtung Gesinnungsstrafrecht bewegen könnte, zumal die Tatbestände der kriminellen Vereinigung und Verhetzung sehr weit gefasst seien.

Alle Angeklagten bekannten sich nicht schuldig. Von Verhetzung und gar krimineller Vereinigung könne jedoch keine Rede sein, hieß es in den Rechtfertigungen. Dieser Argumentation folgte schließlich auch das Gericht.

Die Identitäre Bewegung Österreich wurde 2012 gegründet und wird vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands als rechtsextrem eingestuft. Der Verfassungsschutz bezeichnete sie im Jahresbericht 2014 als Gruppe von jüngeren Neonazis und Personen aus dem studentischen und burschenschaftlichen Milieu, die das aus Frankreich kommende Ideologiekonzept der "Neuen Rechten" in Österreich etablieren wollen. Die Identitären selbst sehen sich aber als "Jugendbewegung, die nicht vom Hass auf das Fremde getrieben wird, sondern von der Liebe zur eigenen Heimat", wie es ihr früherer Obmann Alexander Markovics einmal formulierte.

Das Erkennungszeichen der Bewegung ist der griechische Buchstabe Lambda, eingekreist und in Gelb gehalten, auf schwarzem Hintergrund. Der derzeitige IBÖ-Chef Martin Sellner sprach im Rahmen des Prozesses von derzeit rund 300 aktiven Mitgliedern und hunderten Spendern. Auch mit der FPÖ gibt es immer wieder Berührungspunkte.

Staatsanwalt: "Front von Feiglingen"

Vorder Urteilsverkündung am Donnerstag hielt der Staatsanwalt sein Plädoyer. Er ging mit den Beschuldigten hart ins Gericht "Sie stellen sich als eine Front von Gesetzestreuen dar und begehen fortwährend Gesetzesbruch." Und: "Sie sind für mich keine Front von Patrioten, sondern eine Front von Feiglingen." Weiters bezeichnete er die Beschuldigten als "Pseudomoralisten, die vorgeben, den Staat zu beschützen".

Bei einer anderen Aktion wurde die einzige weibliche Angeklagte geschickt, Wände zu besprühen. "Sie ist auch ein Opfer, sie wäre von selbst nie auf so eine Idee gekommen. So geht man mit denen um, die man nicht als Elite sieht" , war der Staatsanwalt in Hinblick auf die Hierarchie innerhalb der IBÖ überzeugt.

Verteidiger: "Man darf polarisieren"

Verteidiger Bernhard Lehofer, der alle 17 Beschuldigten vertrat, bewertete die Aussagen des Anklägers als "untergriffig", was ein Zeichen für "schwache Argumente" wäre. Die Kritik der IBÖ habe sich im Übrigen "nie gegen Flüchtlinge" gerichtet. "Es gibt eine Parallelgesellschaft bei uns, und da sind nicht die Identitären schuld, sondern eine verfehlte Politik seit 20, 30 Jahren."

In der strittigen Vorlesung in Klagenfurt sei es um Inklusion gegangen, der Gedanke "Altes weg, gemeinsam etwas Neues schaffen" könne als "Selbstabschaffung" interpretiert werden. "Und da darf man dagegen polarisieren, ohne dass man gleich SA ist", betonte der Anwalt.

(APA)

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