Identitäre: Gründe für den Freispruch

Alle 17 Angeklagten, darunter auch IBÖ-Sprecher Martin Sellner, wurden von den zentralen Vorwürfen erstinstanzlich freigesprochen.
Alle 17 Angeklagten, darunter auch IBÖ-Sprecher Martin Sellner, wurden von den zentralen Vorwürfen erstinstanzlich freigesprochen.APA/STRINGER/APA-POOL
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Die Anklage gegen die ultrarechte Identitäre Bewegung Österreich wurde von Anfang an kritisiert. Von Gesinnungsstrafrecht war die Rede. Nun folgten die erwarteten Freisprüche.

Nein, überraschen kann dieses Urteil nicht: Die 17 angeklagten Mitglieder der rechtsgerichteten Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) sind am Donnerstag im Grazer Landesgericht freigesprochen worden. Jedenfalls von den zentralen Anklagepunkten, Verhetzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Übrig geblieben sind nur zwei vergleichsweise untergeordnete Schuldsprüche: einmal, weil der Rektor der Uni Klagenfurt, Oliver Vitouch, bei einer IBÖ-Protestaktion unter dem Titel „Integration ist Lüge“ von einem IBÖ-Aktivisten einen Schlag in den Magen bekam. Und weil bei einer Anti-Zuwanderer-Aktion im weststeirischen Maria Lankowitz gelbe Kreide auf die Straße gesprüht wurde. Letzteres endete so: 240 Euro Geldstrafe wegen Sachbeschädigung. Die Sache mit dem Rektor war Körperverletzung und Nötigung: 720 Euro Geldstrafe.

Die Kernanklagepunkte lauteten aber eben: Verhetzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Dafür wurden vom Staatsanwalt vier IBÖ-Protestaktionen herangezogen. Bei jeder Aktion – etwa auch beim Entrollen eines Transparents auf dem Dach der Grazer Grünen – war die IBÖ selbst sehr bemüht, möglichst viel Publizität zu haben. Vor allem in den sozialen Netzwerken wurde die Propagandatrommel gerührt.

Was man dann auf den IBÖ-Videos sah, war nicht das Begehen von Verbrechen vor laufender Kamera. Sondern: Es seien Aktionen gewesen, wie sie auch Umweltschutzorganisationen immer wieder liefern würden, sagte der Hauptangeklagte, der – zur Gänze freigesprochene – IBÖ-Sprecher Martin Sellner dem Richter. Diese Linie konnte das Gericht zumindest nicht ausschließen. Und so erklärte der Richter (das Gericht möchte, dass sein Name nicht genannt wird): „Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben.“

Der Richter begründete auch, warum alle Angeklagten vom Verhetzungsvorwurf freigesprochen wurden. So sei etwa das Transparent „Islamisierung tötet“ nicht unbedingt Kritik am Islam, „sondern an der Grünenpolitik und dem radikalen Islamismus“. Der bei IBÖ-Aktionen verwendete Slogan „Integration ist Lüge“ richte sich „nicht gegen Integration, sondern gegen eine verfehlte Politik“. Zumindest könne man dies im Zweifel für die Angeklagten so sehen, so der Richter sinngemäß.

Noch lang kein Freibrief

All das bedeutet freilich keinen Freibrief für die Identitären. Die Freisprüche wurden nicht wegen erwiesener Schuldlosigkeit gefällt. Sondern eben im Zweifel für die Angeklagten (dennoch handelt es sich nicht um Freisprüche „zweiter Klasse“). Die IBÖ wird weiter unter Beobachtung stehen (das weiß sie). Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, der sie im neuesten Jahresbericht als „Trägerin des modernisierten Rechtsextremismus“ definiert. Und unter Beobachtung der Staatsanwaltschaft, die bei Vorliegen von Verdachtsgründen Strukturerhebungen zu den internationalen Netzwerken dieser Gruppierung durchführen lassen kann. Fürs Erste aber geht der Punkt an die Freigesprochenen, wenngleich das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Das Unbehagen über die Anklage, das so mancher Beobachter hatte, wird vom Wiener Strafrechtler Helmut Fuchs, dem früheren Chef des Strafrechtsinstituts der Uni Wien, im Gespräch mit der Austria Presse Agentur so erklärt: Man habe der Anklage nichts entnehmen können, das den Tatbestand der Verhetzung und jenen der kriminellen Vereinigung erfüllt.

Die Anklageerhebung empfindet Fuchs als „zumindest unglücklich“. Dennoch sei es beruhigend, dass das Gericht sehr bemüht gewesen sei, diesen unbestimmten Tatbeständen klare Konturen zu geben. Nur so lasse sich justizieller Missbrauch vermeiden. Er befürchtet nun, dass der Freispruch „politisch falsch verstanden werden könnte“, er hoffe nicht, dass der Eindruck entstehe, die Justiz ginge nicht gegen Rechtsradikale vor.

Das Justizministerium, das oberster Weisungsgeber der Staatsanwaltschaften ist, verteidigt die Anklage nach wie vor: Generalsekretär Christian Pilnacek weist darauf hin, dass auch der ministerielle Weisungsrat (Beratungsgremium des Ministers) die Anklage für begründet gehalten habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2018)

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