Handel: Vergesst den Laden nicht

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Karriere Shopping Erlebnis 3D Drucker VR BrilleMarin Goleminov
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Alle reden über E-Commerce. Fast unbeachtet schwingt sich daneben der stationäre Handel in lichte Höhen auf – wenn man denn nur die Verkaufsteams mitreden lässt.

Es stimmt, der stationäre Handel schrumpft. Bis 2020 acht Prozent weniger im Vergleich zum Höchststand von 2013, rechnet der Standortberater RegioData. Google wirft beim Suchbegriff „Shop Strategie“ überhaupt nur mehr Strategien für Onlineshops aus. Weniger Fläche – mag sein. Schlechtere – keinesfalls. Vor allem, wenn es um das bewusste Shoppen (den Erlebniseinkauf) geht und nicht um den täglichen Bedarfseinkauf. Hier wird trotz steigender Mieten, Strom- und Personalkosten in aufwendig-originelle Konzepte investiert. Ikeas geheimnisumwittertes baumbepflanztes Blaues Haus am Wiener Westbahnhof ist nur ein Beispiel.

Und die Mitarbeiter?

Der Handel müsse zum „Menschenversteher“ werden, war eines der Schlüsselergebnisse einer QVC-Studie zum Thema „Einkaufen 2036“. Also, hopp, auf die Maslow'sche Bedürfnispyramide und ein Bedürfnis nach dem anderen abgearbeitet. Da gibt es den neuen (echt jetzt?) Trend des Social Shopping, des Einkaufens mit Freundinnen (Männer mögen das nicht). Egostärkend ist der Trend zum personalisierten Produkt, das frisch aus dem 3-D-Drucker kommt, exakt vom Körperscanner vermessen, oder von der VR-Brille ins Wohnzimmer projiziert wird.

Was heißt das für die Handelsmitarbeiter? Auch hier ist zwischen Bedarfs- und Erlebniseinkauf zu unterscheiden. Supermarktkassiererinnen sollten sich wegen der wachsenden Beliebtheit von Expresskassen Sorgen um ihren Job machen. Aufgewertet hingegen werden die Kundenberater („Verkäufer“ passt hier nicht) in Erlebnisedelgeschäften.

Ein Lehrbuchbeispiel ist die künftige Shopstrategie von A1. Erstens, der Hintergrund: Ein Rebranding, verschämt als „Markenrefresh“ tituliert, aus Hellgrün wird Rot, 350 Millionen Euro Markenwert werden abgeschrieben. Auf Bestehendes muss also keine Rücksicht genommen werden.

Zweitens, das Produktportfolio. Bislang stand A1 für Festnetz, Internet und Handy. Innerhalb weniger Monate kamen schwere Brocken dazu, Smart-Home und A1 TV, massiv erklärungsbedürftig und im Web noch vergleichsweise einfach abzubilden.

Nicht aber im Shop. Dieser bekommt einen neuen Stellenwert, weil, drittens, der Kunde sich zwar vorab im Web informiert, die Home-Produkte aber erst befingern muss, um sie sich daheim vorzustellen. Weil er viele Fragen hat. Und weil er – anders als im Supermarkt – nur in großen Abständen in eine Filiale kommt und sich dort erst zurechtfinden muss. Die Shops müssen also, mit den Flagshipstores beginnend, komplett neu gestaltet werden.

Meine Filiale, mein Baby

Ungewöhnlich ist, dass die Mitarbeiter dieser Shops nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern „ihre“ Filiale mitgestalten. In der Praxis sieht das so aus, dass bereits der Filialplan mit der Mannschaft erstellt wird. Nach links geht es zum Home-Bereich, nach rechts zu den Handys, das ist fix. Die Ausgestaltung aber definieren die Mitarbeiter. Möbel, Sitznischen und Barhocker (erstmals darf auch sitzend beraten werden), Zubehörwände – Details, die nur das lokale Team einschätzen kann.

Steht der Plan, wird er 1:1 aus Karton aufgebaut. Oft wirft man dann alles über den Haufen: Das Pult steht zu nah an der Mauer, die Säule nimmt die Sicht auf die Tür, die Zubehörwand steht falsch. Früher wurden die Möbel gleich nach Plan gebaut, da gab es Hemmungen, im Nachhinein etwas zu ändern. Beim Kartonmodell greift man zum Cuttermesser und schnitzt drauflos.

Passt alles, spielen die Kollegen verschiedene Szenen durch, Verkaufsgespräche, interne Abläufe. Manchmal wird dann noch einmal alles umgedreht.

Der Lohn der Mühe: Filialen, in denen die Teams beweisen wollen, wie recht sie mit ihren Gestaltungsideen hatten. Jetzt legen sie sich extra ins Zeug. Was will das Management mehr?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2018)

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