Der Tod gehört nach Wien

Melanie Raabe schrieb ihr erstes Buch in der Nacht. Es wurde ein Erfolg. Jetzt lässt sie es in Wien gruseln.
Melanie Raabe schrieb ihr erstes Buch in der Nacht. Es wurde ein Erfolg. Jetzt lässt sie es in Wien gruseln.(c) Juergen Pletterbauer
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Melanie Raabe liebt vielschichtige Krimis und Personen mit Ecken und Kanten. Ihr neues Werk, „Der Schatten“, ist ein geschickt konstruierter Rachethriller.

Melanie Raabe war die deutsche Krimisensation des Jahres 2015. Da passte einfach alles: eine Autorin mit dem gewissen Etwas, charmant, gut aussehend, begeisterungsfähig; es war eine „Aschenputtel“-Entstehungsgeschichte, denn Raabe schrieb ihren ersten Krimi, „Die Falle“, heimlich nächtens am Küchentisch, neben ihrem Brotberuf als Journalistin. Und es kam zu einem unerwarteten Happy End. Noch bevor das Buch in Deutschland erschien, wurden die Rechte um sechsstellige Beträge in die USA und nach Großbritannien verkauft, zehn weitere Länder und die Filmrechte folgten.

Literaturmärchen dieser Art gibt es immer wieder, oft bleiben die Autoren allerdings die Fortsetzung schuldig. Umso erfreulicher, dass das bei Melanie Raabe nicht der Fall ist. Das stellt sie mit ihrem dritten Krimi, „Der Schatten“, unter Beweis, der für österreichische Leser einen besonderen Bonus enthält, spielt er doch in Wien.

Dorthin flüchtet die Journalistin Norah Richter nach einer beruflichen Katastrophe in Berlin. Was da genau passiert ist, wird erst Schritt für Schritt enthüllt. Auf jeden Fall war es schlimm genug, Norah eine Klage einzutragen, sie dazu zu verleiten, die langjährige Beziehung zu ihrem Partner Alex hinzuschmeißen und Hals über Kopf aus ihrem alten Leben zu flüchten, als sie das Angebot eines österreichischen Magazins erhält.

Aus freien Stücken töten. Der erhoffte Neuanfang in Wien gestaltet sich allerdings schwieriger als erwartet. Ihre Vergangenheit lässt Norah nicht los, die abgebrochene Liebesgeschichte quält sie, die Einsamkeit ist erdrückend, das Wetter deprimierend, die neue Arbeitsstelle und die Wiener Kollegen sind für die zurückhaltende Deutsche gewöhnungsbedürftig. Vor allem aber lässt Norah das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Als sie in der Fußgängerzone einer Bettlerin Geld gibt, antwortet diese mit einer Prophezeiung: „Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Mit gutem Grund. Und aus freien Stücken.“

Norah lässt der Gedanke an die Weissagung nicht los. Vor allem deshalb, weil am 11. Februar vor vielen Jahren etwas geschehen ist, was Norahs Leben seither überschattet. Doch die Bettlerin taucht nie wieder auf. Dafür stößt Norah auf der Suche nach ihr immer wieder auf den Namen „Arthur Grimm“ – bis der Mann selbst vor ihr steht. Neugierig geworden, beginnt Norah zu recherchieren, und wird immer unsicherer: Könnte Grimm etwas damit zu tun haben, was damals an jenem 11. Februar geschehen ist? Und könnte Norah tatsächlich guten Grund haben, den Mann zu töten?

Raabe hat mit „Der Schatten“ einen geschickt konstruierten, vielschichtigen Thriller um Rache und Manipulation vorgelegt. Gekonnt lockt sie den Leser auf falsche Fährten, legt Schicht für Schicht die Ereignisse frei, die Norah an den wohl gefährlichsten Punkt ihres Lebens gebracht haben – wenn sie auch, vor allem im ersten Drittel, die Geduld des Lesers mit Andeutungen etwas strapaziert.

Wettgemacht wird das durch Norah, eine Person voller Ecken und Kanten und keineswegs nur sympathisch. Ihr Leben verlief nicht gerade nach Plan, ihre Mutter starb früh, die junge Frau rutschte in die Drogenszene ab und schaffte es gerade noch rechtzeitig auszusteigen. Geblieben ist ihr ein Hang zum Leben am Abgrund. Vor allem im Beruf hat Norah die Angewohnheit, aufs Ganze zu gehen. Das macht aus ihr eine gefragte Journalistin, lässt sie aber mitunter den Blick dafür verlieren, wie weit zu weit ist.


Wien als Klischee. Einen einzigen Wermutstropfen hat der Krimi – und auch der wird nur pingeligen Wiener Lesern auffallen. Norah hat ein gespaltenes Verhältnis zu Wien, zu „dieser eigensinnigen Metropole, die so anders war als jeder Ort, den sie kannte“. Ihre Beschreibung der Stadt liest sich allerdings teilweise klischeehaft und gestrig, voller alter Damen im Pelzmantel und Anspielungen auf den morbiden Charakter der Stadt. Das irritiert, tut aber dem spannenden und gelungenen Thriller keinen Abbruch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2018)

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