Erdoğan kehrt Washington den Rücken

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Eine Konfrontation zwischen dem türkischen Präsidenten und Donald Trump eskaliert. Erdoğan verkündete einen Syrien-Gipfel mit Deutschland, Frankreich und Russland. Die USA lädt er nicht ein.

Istanbul. Ein heftiger Streit mit den USA lässt die Türkei verstärkt die Nähe zu Europa und Russland suchen. Am 7. September sollen sich Spitzenvertreter der Türkei, Russlands, Deutschlands und Frankreichs unter Ausschluss der USA in Istanbul treffen, um über die Zukunft Syriens zu reden. Das kündigte der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, jetzt an. Laut Medienberichten bereitet er – ebenfalls für September – einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik vor. Gleichzeitig eskaliert eine Konfrontation Erdoğans mit US-Präsident Donald Trump.

In Syrien gilt die unmittelbare Sorge Ankaras der Provinz Idlib an der türkischen Südgrenze. Dort haben sich in den vergangenen Monaten Zehntausende islamistische Kämpfer mit ihren Familien in Sicherheit gebracht, nachdem sie von Russland und syrischen Regierungstruppen aus anderen Landesteilen vertrieben worden sind. Nach der jüngsten Regierungsoffensive im Südwesten Syriens befürchtet Erdoğans Regierung einen baldigen Angriff in Idlib – was nach Einschätzung Ankaras eine neue Fluchtwelle von bis zu 3,5 Millionen Menschen in Richtung Türkei auslösen könnte.

Erdoğan hat in den vergangenen Tagen in Südafrika am Rande eines Gipfeltreffens der sogenannten Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin gesprochen. Er wolle im September in Istanbul mit Spitzenvertretern von Russland, Deutschland und Frankreich zusammenkommen, um über weitere Schritte zu beraten, sagte Erdoğan vor mitreisenden türkischen Journalisten. Die USA lud er nicht ein. Der Istanbuler Gipfel soll laut Berichten regierungsnaher Medien in der Türkei neue Friedensbemühungen für Syrien einleiten, die parallel zur türkischen Zusammenarbeit mit Russland und dem Iran im sogenannten Astana-Prozess laufen sollen. Eine Bestätigung für den geplanten Gipfel aus Berlin, Paris oder Moskau lag zunächst nicht vor.

Politische Distanz zu den USA

Dass Erdoğan die USA dazu nicht einlädt, zeigt zum einen den Bedeutungsverlust der Amerikaner im Syrien-Konflikt. Zum anderen demonstriert der türkische Präsident mit der Gipfelinitiative seine politische Distanz zu den USA, die nicht nur in der Syrien-Politik besteht. Unter anderem lehnt der türkische Präsident die amerikanische Forderung nach einer wirtschaftlichen Isolierung des türkischen Nachbarn Iran ab. Die Türkei werde auch weiterhin iranisches Erdgas importieren, betonte Erdoğan. Das habe er Trump auch gesagt.

Der offenbar geplante Deutschland-Besuch Erdoğans gehört ebenfalls zu dieser außenpolitischen Neuausrichtung. Im vergangenen Jahr hat er am G20-Gipfel in Hamburg teilgenommen und beim Nato-Treffen Mitte des Monats in Brüssel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen, doch sein letzter Besuch in Berlin liegt mehrere Jahre zurück. Die Bundesregierung hat zuletzt mit der Lockerung der Reisehinweise für die Türkei und einem Ende wirtschaftlicher Sanktionen ihre Bereitschaft zu einer vorsichtigen Normalisierung der Beziehungen zu Ankara signalisiert.

Ursprünglich hat Erdoğan gehofft, sich auch mit Trump arrangieren zu können. Der Fall des amerikanischen Pastors Andrew Brunson, der in der Türkei wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten vor Gericht steht, hat diese Bemühungen jedoch torpediert. Per Twitter hat Trump der Türkei in den vergangenen Tagen mit harten Sanktionen gedroht, falls Brunson nicht freigelassen werde. Der Pastor ist vorige Woche nach fast zweijähriger Untersuchungshaft unter Hausarrest gestellt worden, darf aber weiterhin nicht ausreisen. Auch Trumps Vizepräsident, Mike Pence, der besonders auf christlich-fundamentalistische Wähler in den USA achtet, kritisiert die Türkei wegen Brunson. Im Kongress in Washington wächst der Ruf nach wirtschaftlichen Strafen gegen Nato-Partner Türkei.

Erdoğan zeigte sich unbeeindruckt. „Mit Sanktionen werdet ihr die Türkei nicht zu Zugeständnissen bewegen können“, sagte er über die Amerikaner. Der Präsident wies Berichte zurück, wonach die Türkei den amerikanischen Pastor als Geisel benutzen wolle. Letztes Jahr hatte Erdoğan noch angedeutet, dass die Türkei den US-Geistlichen in die USA reisen lassen würde, wenn Washington im Gegenzug den islamischen Prediger und mutmaßlichen Putschführer Fethullah Gülen an Ankara überstelle. Der Streit um Brunson verschärft Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und der Türkei, etwa wegen der amerikanischen Unterstützung für eine Kurdenmiliz in Syrien. Amerika laufe Gefahr, die Türkei als starken Partner zu verlieren, warnte Erdoğan.

Weitere Infos: www.diepresse.com/ausland

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2018)

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