Hat der ORF Neonazis zur Wiederbetätigung animiert? Im Rohmaterial für eine Doku "Am Schauplatz" ist kein „Sieg Heil!“ zu hören. Mit Audio-Mitschnitt.
"Ich bin überrascht, über die Reaktion. Wenn es darum geht, sich von Neonazis zu distanzieren, hätte Herr Strache ja die Gelegenheit gehabt, das zu tun. Er hat gewusst, dass die Kamera da ist.“ Christian Schüller, Chef der ORF-Sendung „Am Schauplatz“, präsentierte Donnerstag jenes Rohmaterial vor Journalisten, auf dem zu sehen ist, wie FPÖ-Chef Heinz Christian Strache bei einer Wahlveranstaltung mit zwei Skinheads spricht. Als Strache die ORF-Kamera bemerkt, geht er weiter, alarmiert dann aber die Polizei und erstattet Anzeige. Sein Vorwurf: ORF-Redakteur Eduard Moschitz habe die Jugendlichen zu seiner Kundgebung gebracht und zu Äußerungen aufgefordert, die gegen das Verbot der Wiederbetätigung verstoßen. Heute, Freitag, will Strache im Rahmen einer Pressekonferenz Beweise dafür vorlegen.
>>> Audio-Mitschnitt von ORF-Aufnahmen
Der ORF ging in die Offensive – und zeigte Aufnahmen, die für eine Sozialreportage über zwei Skinheads gedreht wurden. Gezeigt wurden Passagen, die Strache beim Bad in der Menge und mit den beiden Burschen zeigen – von neonazistischen Parolen ist nichts zu hören. Möglicherweise könnte es sich bei der Vermutung, einer habe „Sieg Heil!“ gerufen, um eine akustische Verwechslung handeln, weil einer der beiden von der Autogrammkarte abliest: „Was steht denn da? H. E. Strache. Aha! Heinrich Strache. H. E. – Abkürzung.“ Zu vernehmen ist, dass der Redakteur zu den beiden sagt: „Jetzt könnt's alles zum Herrn Strache sagen, was ihr wollt.“ Moschitz erklärt das damit, dass die beiden zuvor gesagt haben, sie wollten einmal mit Strache reden.
Vom Auftritt des FP-Politikers seien die zwei eher enttäuscht gewesen, so Schüller: „Wir waren gespannt, wie sie auf das reagieren, was Strache sagt – und wie die FPÖ-Leute auf die Neonazis reagieren. Sich solche Überschneidungen und Abgrenzungen am konkreten Fall anzuschauen entspricht ja einem legitimen journalistischen Interesse.“ Den zwei Skinheads sei während Straches Rede die längste Zeit „fad“ gewesen, dass er sich vom Nationalsozialismus distanziert hat, habe ihnen „missfallen“. „Nur die letzten vier Minuten fanden sie klass, weil da sprach Strache über von Ausländern begrapschte Mädchen.“ Man hätte das natürlich auch differenziert dargestellt. Schließlich gehe es in der Reportage, die so bald wie möglich ausgestrahlt werden soll, auch nicht vorrangig um die politische Einstellung der Skinheads. „Wir wollten zeigen: Wie schaut der Weg aus – vom Gemeindebau zum Neonazi? Wie der Alltag? Wir sind davon ausgegangen, dass die da auch wieder rauskommen können, dass man nicht sagen kann: einmal Neonazi, immer Neonazi.“
100 Euro als „übliche“ Bezahlung
Zehn bis 15 Stunden Rohmaterial hat die „Schauplatz“-Redaktion für die halbstündige Sendung gesammelt. Dass die beiden jungen Männer 100 Euro bekommen haben, „da steckt nichts Kriminelles dahinter“, meint Schüller: „Wir müssen den Leuten eine Erklärung abnehmen, dass sie uns die Persönlichkeitsrechte zur Verfügung stellen– sonst könnte einer einen Tag vor der Sendung kommen und sagen, er will nicht, dass das ausgestrahlt wird.“ Dafür gebe es eine einmalige Zahlung, um das abzukaufen– eben 100 Euro. Dass die beiden auch verpflegt wurden, hält er für selbstverständlich: „Soll man einem Arbeitslosen sagen, er kriegt nichts zu essen und zu trinken? Das ist lächerlich!“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. März 2010)