Festspiele Erl: Gustav Kuhn stellt nach schweren Vorwürfen Funktion ruhend

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Künstlerinnen klagten sexuelle Übergriffe des künstlerischen Leiters Gustav Kuhn in einem offenen Brief an. Am Dienstagnachmittag traf sich der Stiftungsvorstand wegen der Causa. Nun wurde bekannt, dass Kuhn seine Funktion ruhend legt.

Die Ära Kuhn in Erl ist zu Ende - zumindest vorerst: Der wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe schwer in Bedrängnis geratene "Maestro" Gustav Kuhn stellt seine Funktion als künstlerischer Leiter der Festspiele bis zur vollständigen Klärung mit sofortiger Wirkung ruhend. Er wolle damit weiteren Schaden von den Festspielen abwenden, teilten die Verantwortlichen mit.

Kuhn weise die, von fünf Künstlerinnen in einem offenen Brief, geäußerten Vorwürfe weiterhin zurück, hieß es nach einer Sitzung des Stiftungsvorstandes in Wien. Der Vorstand habe die Entscheidung Kuhns begrüßt, hieß es. Mit der interimistischen Leitung werde sein bisheriger Stellvertreter Andreas Leisner betraut. Die Vorwürfe würden jedenfalls ernst genommen, und jedem einzelnen davon werde entsprechend nachzugehen sein, wurde versichert.

Jähes Ende nach 20 Jahren?

Für den in Feuilletons vielfach als "Erlkönig" titulierten Dirigenten und Intendanten, der die Festspiele 1997 aus der Taufe gehoben hatte, könnte somit sein Schaffen in Erl nach 20 Jahren ein jähes Ende nehmen. Eigentlich wäre sein Engagement bis 2020 gelaufen. Und für die Zeit danach sollte der 72-Jährige, wie Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner bei der Eröffnung betont hatte, dem Festival im Tiroler Unterland als Dirigent erhalten bleiben - sollte, denn wird aus dem vorläufigen Rückzug ein endgültiger, dann wäre wohl das Dirigat der "Götterdämmerung" als Abschluss der heurigen Saison sein letztes in Erl gewesen. Was nicht nur symbolträchtig wäre, sondern für Kuhn ein unrühmliches Ende seiner künstlerischen Schaffensperiode bedeuten würde. Und sollten die Vorwürfe der Frauen zu einer Verurteilung Kuhns führen, dann wäre wohl auch der Imageschaden für die Festspiele insgesamt veritabel.

Der gebürtige Steirer, der in Salzburg aufwuchs und unter anderem bei Herbert von Karajan studiert hat, gründete die Festspiele im Jahr 1997, nachdem er bereits zuvor eine beachtliche Karriere als Dirigent hingelegt hatte. Die für seine werktreuen, von Regieexzessen verschonten Inszenierungen bekannten Festspiele wurden nicht nur bei Wagner-Jüngern binnen kurzer Zeit vom Geheimtipp zum Fixpunkt im Festivalkalender, sondern erfreuten sich auch beim Tiroler Publikum größter Beliebtheit.

Erste Vorwürfe im Februar 2018

Im Jahr 2012 - bis dahin hatte Kuhn die zehn großen Wagner-Opern in eigener Regie im Erler Passionsspielhaus dirigiert - stand nicht nur die Eröffnung des neuen Festspielhauses am Programm, sondern die Festspiele wurden um eine Wintersaison erweitert. Eine erfolgreiche Saison folgte der nächsten. Und der "Erlkönig" wurde seinem Ruf gerecht.

Bis im Februar dieses Jahres erstmals dunkle Wolken über dem Festival und Kuhn dräuten. Der Blogger Markus Wilhelm veröffentlichte massive Vorwürfe gegen den 72-Jährigen, die von rüdem Verhalten bis zu sexuellen Übergriffen reichten. Kuhn wies dies stets zurück, bezeichnete sie in Interviews als "unhaltbare Anschuldigungen" und verwehrte sich gegen Vorverurteilungen. Festspielpräsident Haselsteiner machte seinem "Maestro" die Mauer und sprach von einer "Schweinerei erster Ordnung".

Die Bombe platzte dann in Form eines offenen Briefes der fünf Künstlerinnen, zu einem Zeitpunkt, als es schien, dass sich die Aufregung um die "Causa Erl" bereits gelegt habe: just während der laufenden Festspiele, nachdem Halselsteiner Kuhn noch bei der Eröffnung attestiert hatte, "ganz der Alte zu sein". Folgerichtig scheint also nun, dass sich der 72-Jährige bis zur Klärung der Vorwürfe aus dem Rampenlicht zurückzieht. Ob der "Erlkönig" seine Krone ganz verliert, werden die Ermittlungen zeigen.

Chronologie der Ereignisse

Mitte Februar 2018 veröffentlicht der Blogger Markus Wilhelm auf der Homepage "dietiwag.org" anonyme Vorwürfe, die von "modernem Sklaventum" über Verdacht auf Lohndumping bis hin zu sexueller Belästigung unter anderem durch Maestro Kuhn reichen. Die Verantwortlichen der Festspiele Erl weisen die Anschuldigungen aufs Schärfste zurück und kündigen eine Klage gegen Wilhelm an.

26. Februar: Der künstlerische Leiter Gustav Kuhn nimmt erstmals selbst Stellung. Er spricht von "unhaltbaren Anschuldigungen" und wehrt sich gegen Vorverurteilungen. "Wenn das Gericht zu einem Urteil kommt, dann ist es so. Aber bevor das Gericht nicht zu einem Urteil kommt, ist es so nicht. Das sagt unser Rechtsstaat", erklärt Kuhn in einem Interview im Ö1-"Kulturjournal". Im Hinblick auf den Vorwurf eines autoritären Stils meint Kuhn: "Da sollte ich mich auch ein wenig zügeln. Vielleicht das ein oder andere Wort - das nehme ich auf meine Kappe. Ich sollte ein bisschen milder werden."

28 Februar: Festspielpräsident Haselsteiner kontert den Vorwürfen. Die Anschuldigungen seien eine "Schweinerei erster Ordnung", sagt Haselsteiner: "Wir sind offensichtlich Opfer einer Verleumdungskampagne." Er ortet eine Kampagne und politische Motive dahinter. Offenbar gehe es darum, die ÖVP und Landeshauptmann Günther Platter knapp vor der Tiroler Landtagswahl zu treffen. Die Festspiele dienten als "Instrument" dafür. Die Vorwürfe von angeblichem Lohn- und Sozialdumping, Lohnwucher, Scheinselbstständigkeit und dergleichen sind für den Festspielpräsidenten schon "längst erledigt", der auf entsprechende Untersuchungen durch Tiroler Gebietskrankenkasse und Finanzpolizei verweist.

1. März: Der Verein "art but fair" erstattet bei der Innsbrucker Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Kuhn. Dem Verein geht es um mehrere "Fragenkomplexe", die staatsanwaltschaftlich geklärt werden sollen, darunter der Vorwurf von strafrechtlich relevanten sexuellen Übergriffen.

2. März: Die Festspiele Erl erwirken bei Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen den Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Zudem werden mehrere Klagen gegen Wilhelm vorbereitet und auf den Weg gebracht.

11. März: Der Vorstand der Tiroler Festspiele Erl Privatstiftung beschließt die Offenlegung der Gagen und richtet eine Ombudsfrau als Anlaufstelle für gegebenenfalls Betroffene ein. Zudem beauftragt er die Geschäftsführung "Rules of Conduct" (Verhaltensregeln, Anm.) zu erarbeiten und zu implementieren.

17. Mai: Kuhn zieht seine medienrechtliche Klage gegen Wilhelm zurück. Die Zivilklage bleibt jedoch aufrecht. Der Blogger sieht darin einen kleinen Sieg.

Anfang Juni: Die zuständige Richterin übermittelt den Akt aus dem Prozess Kuhn gegen Wilhelm unter anderem wegen übler Nachrede nach dem Mediengesetz an die Staatsanwaltschaft. Die Anklagebehörde prüft die Aussagen, die Vorwürfe sind aber bereits verjährt. Zwei weitere Zeuginnen sollen aber noch einvernommen werden.

6. Juli: Die heurigen Festspiele werden eröffnet. In seiner Festansprache übt Haselsteiner Kritik und nimmt Kuhn in Schutz. Die sozialen Medien bezeichnet er als "neuen Pranger" und Kuhn attestiert er "ganz der Alte zu sein". "Er macht - hoffentlich zum Ärger des Bloggers - noch immer keinen Hehl daraus, welche Vorlieben er hat. Und Wein, Weib und Gesang ist etwas, was wir gut nachvollziehen können", witzelt der Festspielpräsident.

25. Juli: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements. Es ist das erste Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden.

26. Juli: Haselsteiner zeigt sich ebenfalls in einem offenen Brief "schockiert und überrascht" und versichert, den Anschuldigungen "mit Ernsthaftigkeit und Akribie" nachzugehen - allerdings will er das Ende der Festspiele abwarten.

29. Juli: Die heurige Festspielsaison geht mit einer Aufführung der "Götterdämmerung", bei der Kuhn selbst am Dirigentenpult steht, zu Ende. Die Festspiele vermelden knapp 20.000 Besucher und eine im Vergleich zum Vorjahr um fast acht Prozent höhere Auslastung.

30 Juli: Die Mezzosopranistin Julia Oesch konkretisiert gegenüber der "ZIB 2" des ORF-Fernsehens ihre Vorwürfe und spricht von einem "massiven sexuellen Übergriff" durch Kuhn. Auch ihre Kollegin, die Sopranistin Mona Somm, berichtet im selben Interview davon, dass der "Maestro" eine gute Freundin von ihr bei einem Workshop belästigt habe.

31. Juli: Der Stiftungsvorstand tritt zusammen, um über die weitere Vorgehensweise zu beraten. Kuhn stellt seine Funktion als künstlerischer Leiter der Festspiele bis zur vollständigen Klärung mit sofortiger Wirkung ruhend. Mit der interimistischen Leitung wird sein bisheriger Stellvertreter Andreas Leisner betraut.

(APA)

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