Kino: Ein Noir-Thriller aus der Karibik

Alberto (Vincente Santos) muss in sein abgelegenes Heimatdorf, wo man noch an Zauberei glaubt.
Alberto (Vincente Santos) muss in sein abgelegenes Heimatdorf, wo man noch an Zauberei glaubt. (c) Filmgarten
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Im wundersamen Film „Cocote“ wird ein dominikanischer Gärtner zu einem Rachetrip gedrängt. Selbst die Kamera ist im Hitzefieber – und liefert hypnotische Bilder.

Die Dominikanische Republik kennt man normalerweise nur als paradiesischen Urlaubsort. Reisekataloge versprechen türkisfarbenes Meer, schneeweiße, von Palmen gesäumte Strände und undurchdringliche Regenwälder – aber aus der Innenansicht der dortigen Bevölkerung dringt in der Regel nur wenig nach außen: Schon gar nicht aus den Gebieten jenseits der Touristenzentren, in die sich der dominikanische Regisseur Nelson Carlo Des Los Santos Arias für „Cocote“ begeben hat.

In Santo Domingo geboren und in Buenos Aires und Edinburgh auf die Filmschule gegangen, nimmt er die anderswo werbetaugliche Rede von der Undurchdringlichkeit der Natur in seinem Heimatland buchstäblich: Oft blockiert Geäst die freie Sicht, am Tag ist es hell, in der Nacht tiefdunkel, die Lichtquellen sind rar. Hypnotisch schimmern die Lagerfeuer, wo diskutiert wird. Bedrohlich blenden die Autoscheinwerfer, wenn marodierende Banden umherziehen.

Als Christ im Land der Geister

Wie vom Hitzefieber erfasst, dreht sich die Kamera öfter um die eigene Achse. Nur impulsweise tritt eine Handlung hervor: Alberto (eine Entdeckung: Vincente Santos) muss Urlaub von seinem Brotberuf als Gärtner für eine reiche Familie in der Stadt nehmen. Der brutale Mord an seinem Vater nötigt ihm die leidige Pflicht auf, ein paar Tage in seinem abgelegenen Heimatdorf zu verbringen. Als konvertierter Christ befremdet ihn der pagane Geister- und Zauberglaube seiner Verwandten und Bekannten inzwischen sehr. Dass er nur zurück in seine urbane Wahlheimat will, steht ihm von Beginn an im Gesicht geschrieben – umso mehr, als er dazu gedrängt wird, den Tod seines Padres zu rächen. Ein Dilemma für ihn. Er will nicht weiter als Feigling dastehen, aber auch seine religiösen Prinzipien nicht verletzen.

Also zaudert er – und sein Entscheidungsaufschub schleppt sich in lethargischer Erzählgeschwindigkeit dahin. Dadurch taucht man jedoch immer tiefer in den von Kriminalität und Spiritualismus geprägten Handlungsort ab. Die immerzu betenden, größtenteils von Laien verkörperten Dorfbewohner fallen bei Zeremonien regelmäßig in Ohnmacht. Die verrätselte Bildsprache von Arias leistet fast dasselbe: Nebensächliche Details gewinnen in extremen Nahaufnahmen eine hypnotische Eigentümlichkeit. Eine lange, verwinkelte Western-Einstellung erzeugt einen „Vertigo“-artigen Schwindel.

Zugleich kann man „Cocote“, der vom jungen Salzburger Regisseur Lukas Valenta Rinner („Die Liebhaberin“) produziert wurde, auch als karibische Variante eines klassischen Noir-Thrillers sehen: Der simple Rache-Plot ist zwar etwas zu durchschaubar dafür, aber die Atmosphäre von vergleichbarer Lichtscheue und Schlafwandlertum geprägt. Dass ihr auf der anderen Seite ebenso gegenläufige Momente unaufdringlicher Situationskomik und der eigentümlichen Schönheit der Region entweichen, macht ein bisschen das Wundersame dieses tiefen-cinephilen Heimatfilms aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2018)

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