Oh weh, ein Monopol: Falsche Namen setzen sich durch. Falsche Grenzen bedrohen den Frieden, Navis den Schlaf.
Das Ewiggestrige ist nicht nur fatal, sondern längst auch digital. Und so fühlten sich die Berliner in ihre dunkelsten Zeiten zurückkatapultiert, als der große Kreisverkehr im Westend auf einmal so hieß wie 1933: Adolf-Hitler-Platz. Auf Google Maps, dem geografischen Maß aller Dinge. Der Aufschrei war groß, der Spuk nach einem Tag vorbei.
Zum Glück: Denn falsche Ortsbezeichnungen auf der allzu beliebten Kartenapp verbreiten sich so rasch wie Blütenstaub und Grippeviren. Hotelvermittler, Partnersuchen oder Taxidienste – sie alle greifen auf die Kartendaten zu. Medien fügen sich rasch in das Fait accompli: Es steht in Maps, also ist es so. Das sind die Tücken der Marktmacht: Rund 80 Prozent aller Kartennutzer der westlichen Welt verwenden Google, nur sieben Prozent Apple. Viel Verantwortung also, mit der man in Mountain View scheinbar sauber umgeht: Jeder Nutzer kann Änderungen vorschlagen, vor dem Umschreiben wird angeblich geprüft. Nur blöd, wenn der Schiedsrichter ein ausgelagerter Programmierer in Indien ist, der keine Ahnung hat, wie Einheimische einen Ort am anderen Ende der Welt wirklich nennen.
Da passieren Fehler: Ein Stadtteil von Detroit hieß immer schon Fiskhorn (das Horn Fisk), nach Googles Dekret nennen es alle nur noch Fishkorn (wie Korn des Fisches). Die Fantasie breitet ihre Flügel aus: Im Herzen San Franciscos hat ein Verein seinem Viertel einen neuen Namen verpasst, die Proteste der ungefragten Mehrheit folgten zu spät. Und da wird Geschäft gemacht: Klammheimlich kriecht in Manhattan die Grenze des hippen TriBeCa hinein ins schäbige Chinatown, dank findigen Immobilienmaklern. Grenzen sind aber heikel: 2010 kam es fast zum Krieg zwischen Nicaragua und Costa Rica, weil Google Maps eine Insel im Grenzfluss falsch zuordnete und so einen alten Konflikt neu entfachte. Von eher individueller Tragik ist das Los einer texanischen Familie, der eine Abrissfirma wegen der falsch vermerkten Adresse ihr Haus in Schutt und Asche legte.
Wenig Freude haben auch die Bewohner von Villenvierteln, deren stille Alleen sich plötzlich in lärmige Durchzugsstraßen verwandeln. Dafür sorgt die Navi-Funktion auf Maps, die Fahrer vom Stau auf der Autobahn scharenweise auf kleine Schleichwege umleitet. Die Bewohner schlagen zurück, indem sie der App erfundene Unfälle und Straßensperren melden. In Israel gingen Bürger den geraden Weg und verklagten den Navi-Anbieter. Namens Waze. Dieser gehört aber längst auch zu Google. Wir sind ja in der Tech-Welt: Es kann nur einen geben. Und wir müssen uns dreinfügen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2018)