In der Nacht zum Dienstag treten die ausgesetzten US-Strafmaßnahmen wieder in Kraft. In iranischen Städten wird gegen den Wertverfall der Landeswährung protestiert.
Teheran/Istanbul. Die Furcht vor einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert den Iran. In der Nacht auf Dienstag treten bisher ausgesetzte US-Sanktionen wieder in Kraft, mit denen Präsident Donald Trump den Einfluss der Islamischen Republik im Nahen Osten zurückstutzen will. Mit dem Ruf „Tod dem Diktator“ zogen in Teheran in den vergangenen Tagen mehrere Hundert Menschen durch die Straßen, wie iranische Aktivisten berichteten: Mit „Diktator“ meinten sie Revolutionsführer Ali Khamenei.
Bei einer Protestkundgebung zog eine Rednerin demonstrativ ihr Kopftuch aus. In Karash bei Teheran wandten sich die Demonstranten nicht nur gegen die gestiegenen Lebenserhaltungskosten, sondern auch gegen außenpolitische Abenteuer ihrer Führung: „Nicht Gaza, nicht Libanon, ich lebe nur für den Iran“, riefen sie.
Schon seit Monaten brechen im Iran immer wieder Unruhen aus, bei denen gegen die schlechte Wirtschaftslage, Trinkwassermangel und Misswirtschaft protestiert wird. Der iranische Rial hat innerhalb kurzer Zeit rund die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar eingebüßt. Die USA unterstützen die Proteste unter anderem mit einer Kampagne, die den Blick auf die Korruption bei Mitgliedern der iranischen Elite richtet.
Pistazien und Perserteppiche
Zum Teil hängt die Verschlechterung der Wirtschaftslage mit der Entscheidung der USA zusammen, erneut Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Trump hatte im Mai das internationale Atomabkommen mit Teheran aufgekündigt. Mit wirtschaftlichem Druck will er den Iran zu Gesprächen über ein neues Vertragswerk mit strikteren Auflagen zwingen.
Von Montagmitternacht an verbieten die USA deshalb den Verkauf von US-Dollar an den Iran. Auch der Handel mit Gold und anderen Metallen wird mit Strafmaßnahmen belegt. Sogar der Import von Perserteppichen und Pistazien aus dem Iran wird gestoppt. Ab November soll zudem der iranische Öl- und Gasexport blockiert werden. Unternehmen, die sich nicht an die Sanktionen halten, werden laut den Plänen von den Märkten der weltweit führenden Wirtschaftsmacht USA ausgeschlossen. Viele amerikanische und internationale Firmen haben sich deshalb bereits aus dem Iran zurückgezogen. Ausstehende Deals werden im Blitztempo durchgezogen – so hat etwa die Fluggesellschaft Iran Air kurz vor Sanktionsbeginn fünf Regionalflugzeuge vom Typ ATR 72-600 erhalten.
„Die Menschen im Iran werden unter den Sanktionen leiden“, schrieb die Expertin Holly Dagres von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington in einem Blogbeitrag. Ein steiler Anstieg der Goldimporte in jüngster Zeit ist Resultat des Versuchs vieler Iraner, für die erwarteten schweren Zeiten vorzusorgen. Allein von April bis Ende Juni führte der Iran rund 15 Tonnen Goldbarren und -münzen ein, die höchste Menge seit vier Jahren, so die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Zahlen des Verbandes World Gold Council. Im ersten Halbjahr waren es insgesamt 24,5 Tonnen – mehr als in allen restlichen Ländern des Nahen Ostens zusammen.
Die iranische Führung hofft, dass sich genügend Länder finden, die sich den US-Sanktionen verweigern. Die EU zum Beispiel möchte einen Kollaps des Atomabkommens von 2015 verhindern und sucht nach Wegen, die US-Strafmaßnahmen zu umgehen. Auch der iranische Nachbar Türkei, der Öl und Gas aus dem Iran importiert, will sich nicht an die Sanktionen halten. Unklar ist außerdem noch, was China als einer der wichtigsten Kunden der iranischen Energiewirtschaft tun wird. Teheran hofft, dass Peking die US-Strafmaßnahmen ignorieren wird.
Sprechchöre für den Schah
Auch die politischen Folgen sind unklar. Bisher sieht es nicht danach aus, dass sich die iranische Regierung mit Trump an einen Tisch setzen will, um die Sanktionen wieder loszuwerden. Möglicherweise werden durch die US-Haltung die Hardliner in Teheran gestärkt, die bereits das Atomabkommen von 2015 als ein zu großes Zugeständnis an den Westen ablehnten. Die innenpolitische Lage im Iran könnte den Ereignissen aber eine neue Dynamik verleihen. Bei Protesten in der Stadt Shiraz lobte die Menge vor Kurzem in Sprechchören den früheren Schah Reza Pahlavi und rief: „Unser Feind ist hier“ – und nicht in den USA.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2018)