Der Skandal um den Blutdrucksenker Valsartan offenbart die Abhängigkeit der Generikabranche von einigen wenigen Herstellern in Indien und China. In Österreich sind rund 72.000 Menschen betroffen.
Wien. In der ersten Juli-Woche wurden EU-weit vorsorglich Chargen von Blutdrucksenkern zurückgerufen, deren Wirkstoff Valsartan vom chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produziert wurde. Diese Medikamente sind mit einem Nitrosamin (konkret: N-NDMA) verunreinigt und könnten damit krebserregend sein, hieß es damals.
Mittlerweile haben auch die USA und am Montag auch China diese Präparate zur Gänze vom Markt genommen. Das mag damit zutun haben, dass die Europäische Arzneimittelagentur EMA und die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten (FDA) eine vorläufige Risikoeinschätzung publiziert haben. Die EMA schätzt, dass es pro 5000 Patienten, die über sieben Jahre lang die Höchstdosis von Valsartan genommen haben, zu einem zusätzlichen Krebsfall kommen kann. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die FDA. Die Zahlen beruhigen nicht wirklich. Beide Schätzungen gehen von einer durchschnittlichen Konzentration mit Nitrosamin aus, ein Stoff, der potenziell krebserregend ist. Wie groß das Ausmaß der Verunreinigung ist, konnte in den vergangenen Wochen jedoch immer noch nicht geklärt werden.
Nitrosamin ist potenziell krebserregend
Das Zentrallabor Deutscher Apotheker hat nun in Stichproben diverse vom Rückruf betroffene Medikamente untersucht – und fand dabei NDMA-Mengen zwischen 3,7 Mikrogramm (μg) und 22,0 μg pro Tablette. Einen konkreten Grenzwert für die täglich erlaubte NDMA-Menge, dem ADI (Acceptable Daily Intake), gibt es übrigens nicht, denn potente Kanzerogene können schon in kleinsten Mengen krebsauslösend wirken. Es gilt daher das Prinzip, sich dem Stoff so wenig wie möglich auszusetzen.
Zur besseren Einordnung: Geräucherter Schinken enthält pro Kilogramm im Schnitt 2,5 μg NDMA, für Bier gibt es einen Richtwert von 0,5 μg pro Kilogramm. In Deutschland und Österreich die tägliche Aufnahme von Nitrosaminen auf etwa 0,3 μg eingeschätzt. Wer raucht, steigert seine Dosis gewaltig: 20 Zigaretten enthalten zwischen 17 und 85 μg Nitrosamine.
Wenn man bedenkt, dass manche Valsartan-Präparate pro Tablette bis zu 22 μg enthalten haben, kann man Sorge und Unmut vieler Bluthochdruck-Patienten gut verstehen. Nicht wenige von ihnen nehmen seit Jahren zwei Tabletten pro Tag, um den Blutdruck zu senken. Was sie allerdings nicht wussten, damit womöglich gleichzeitig das Schadstoff-Äquivalent von bis zu zwei Packungen Zigaretten zu sich zu nehmen. Ob und welche Auswirkungen diese Dosis auf ihre Gesundheit haben wird, kann heute noch niemand seriös abschätzen, heißt es aus dem österreichischen Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen (BASG). Gesichert ist aber, dass „in Österreich rund 2,1 Mio (Monats)Packungen pro Jahr von Valsartan-hältigen Blutdruckmedikamenten von verschiedenen Herstellern verkauft wurden. Geht man davon aus, dass ein Patient pro Monat eine Packung benötigt, sind gut 72.000 Patienten in Österreich von dem Rückruf betroffen“, sagt Martin Spatz, Geschäftsführer der IQVIA Marktforschung.
Vieles macht stutzig
Und sie alle stellen sich so einige Fragen: Seit wann sind die Valsartan-Präparate kontaminiert und wie kann es sein, dass die Verunreinigung weder dem Hersteller noch den Zulassungsbehörden aufgefallen sind? Befriedigende Antworten darauf gibt es nicht: Experten vermuten, dass die Valsartan-Produkte des chinesischen Herstellers schon seit 2012 kontaminiert sein könnten. Da hat Zhejiang Huahai Pharmaceutical nämlich aus Gründen der Effizient sein Syntheseverfahren umgestellt und das auch ganz korrekt der europäischen Behörde EDQM (Europäisches Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln) gemeldet. Dort hatte kein Mensch Bedenken an dem neuen Verfahren. „Niemand hat vermutet, dass dieser geänderte Synthese-Prozess zu so einer Verunreinigung führen könnte“, sagt Christoph Baumgärtel vom BASG. Erst einem spanischen Wirkstoffhändler kamen Bedenken und informierte die Behörden.
Auffallend ist auch, dass es lediglich Generika-Hersteller sind, deren Valsartan-Produkte verunreinigt sind. Novartis und KRKA Pharma-Medikamente sind nicht betroffen. Wie kann es dazu kommen, dass sich namhafte Generikahersteller wie Sandoz, Teva oder Stada von einem einzigen chinesischen Wirkstoffhersteller abhängig machten? „Ganz einfach: Es gibt weltweit nur sehr wenige Hersteller“, sagt Baumgärtel. „Große Pharmakonzerne lassen fast allesamt ihre Medikamente in Indien und China herstellen, weil dort die Produktionskosten niedrig sind.“
Doch wenn man gegen China wettert, drängt sich gleich noch eine Frage auf: Kommt besagtes Syntheseverfahren nur bei dem chinesischen Hersteller zur Anwendung oder wird es dort und da doch auch in Europa zur Herstellung von Wirkstoffen angewandt? Das ist nicht sicher. Die EMA wollte sich bis dato dazu schließlich noch nicht endgültig festlegen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2018)