Versicherungspflicht statt Kapitulation vor der Privatmedizin

Eine logische Folge dieser kurzsichtigen Politik – nämlich die steigende Zahl an Wahlärzten – nahm man achselzuckend zur Kenntnis.
Eine logische Folge dieser kurzsichtigen Politik – nämlich die steigende Zahl an Wahlärzten – nahm man achselzuckend zur Kenntnis. (c) Clemens Fabry
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Anbieter privater Versicherungen haben die Zeichen der Zeit erkannt und preschen in den niedergelassenen Sektor vor. Die Politik reagiert mit Rückzug.

Bleiben wir fair, nüchtern und vor allem ehrlich: Bei objektiver Betrachtung kann man Uniqa und Merkur keinen Vorwurf machen. Als profitorientierte Unternehmen tun sie nichts anderes, als eine Lücke im niedergelassenen System zu füllen, die sich in den vergangenen Jahren aufgetan hat. Aber trotz der Warnsignale für die Krankenkassen, die frei werdende Stellen – im Übrigen nicht nur im ländlichen, sondern auch im städtischen Bereich – von Quartal zu Quartal schwieriger nachbesetzen konnten, wurden längst fällige Maßnahmen wie etwa das Anheben der Tarife oder die Einführung von flexiblen Arbeitszeitmodellen nicht ergriffen.

Eine logische Folge dieser kurzsichtigen Politik – nämlich die steigende Zahl an Wahlärzten – nahm man achselzuckend zur Kenntnis. Möglicherweise in der zynischen Annahme, dass Patienten auch künftig lieber lange Wartezeiten in Kauf nehmen werden, bevor sie für Wahlärzte oder eine private Krankenversicherung zusätzlich Geld ausgeben.

Man irrte sich gewaltig. Und der größte sowie drittgrößte Anbieter privater Krankenversicherungen, Uniqa und Merkur, erkannten irgendwann, dass es mittlerweile sowohl genug Privatpatienten als auch genug Privatärzte gibt, um sie schnell, unkompliziert und gewinnbringend zusammenzubringen. Ohne Wartezeiten und mit einer Direktverrechnung von Behandlungen, also ohne lästigen Papierkram. Niemand kann behaupten, dass diese Entwicklung nicht absehbar war, denn im Spitalsektor gibt es eine solche Parallelstruktur seit Jahrzehnten. Warum? Weil mit stationären Behandlungen bzw. Aufenthalten mehr Geld zu verdienen ist als mit ambulanten. Besser gesagt: war.

Denn durch die in den vergangenen Jahren massiv gestiegene Zahl an Patienten mit Zusatzversicherungen – allein Uniqa zählt zwei Millionen Privatkunden, davon 500.000 mit Sonderklasse – hat sich auch der niedergelassene Bereich zu einem lukrativen Markt entwickelt. Daher schwappt das System der Direktverrechnung nun auch auf den sogenannten extramuralen Sektor über. Uniqa macht aus ihren Plänen gar kein Geheimnis. „Unser Plan: Das Portfolio von Uniqa vom reinen Krankenversicherer hin zum Gesundheitsdienstleister zu erweitern“, heißt es in dem Anwerbebrief an Wahlärzte. Man versteht sich also nicht mehr als Anbieter von Versicherungen, sondern als „Gesundheitsdienstleister“ – wie die staatlichen Krankenkassen.


Diese neue Dimension der Etablierung der Privatmedizin ist die Konsequenz von schwerwiegenden politischen Versäumnissen, Kassenärzte mit einer Reihe von Maßnahmen – neben den erwähnten Tariferhöhungen und flexibleren Arbeitszeitmodellen sind das beispielsweise die Aufhebung von Deckelungen und der Bürokratieabbau – rechtzeitig aufzuwerten, um den Ansprüchen junger Mediziner, die auf ihre Work-Life-Balance Wert legen, gerecht zu werden. Sonst gehen sie ins Ausland oder eröffnen Wahlarztordinationen und verdienen das Doppelte. Während es in Österreich gleichzeitig immer weniger Kassenärzte gibt. Aktuell sind nicht weniger als 70 Stellen unbesetzt. Die Lage wird sich noch weiter verschärfen, da in den kommenden zehn Jahren 60 Prozent der Hausärzte in Pension gehen werden.

Dass die Reaktion der Politik auf diesen Vorstoß eine Ausgabenbremse für Sozialversicherungen ist, wie zuletzt verkündet wurde, kommt einer Kapitulation gleich. Mit dem Eingeständnis, dass das staatliche Gesundheitssystem bald nicht mehr konkurrenzfähig sein wird. Nun wird diese Erkenntnis (vor allem in Wien) niemanden überraschen, der in den vergangenen Jahren in Ermangelung einer Sonderklasse auf das Kassenarztsystem angewiesen war und mit ansehen konnte, wie es Stück für Stück den Bach runterging. Nur: Jetzt ist es amtlich.

Dabei könnte aus der Not eine Tugend gemacht und etwas eingeführt werden, das offenbar ohnehin nicht aufzuhalten ist: eine Versicherungspflicht statt der bestehenden Pflichtversicherung, die Wahlfreiheit ermöglicht und den Lebenswandel berücksichtigt – also Anreize schafft, stärker auf seine Gesundheit zu achten. So viel Eigenverantwortung sollte nicht zu viel verlangt sein.

E-Mails an:koeksal.baltaci@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2018)

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