Überhitzen wir die Erde zum "Hothouse"?

„Ist die Menschheit in Gefahr, das System über einen planetaren Schwellenwert zu treiben und irreversibel auf einen Heißzeit-Kurs zu bringen?“
„Ist die Menschheit in Gefahr, das System über einen planetaren Schwellenwert zu treiben und irreversibel auf einen Heißzeit-Kurs zu bringen?“(c) APA/Julian Stratenschulte
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Klimaforscher warnen, dass uns ein Domino-Effekt in eine "Heißzeit" katapultieren könnte, in der es vier Grad Celsius wärmer ist. Allerdings stützt sich das nicht auf neue Erkenntnisse, sondern aktualisiert alte Sorgen.

Potsdam. „Ist die Menschheit in Gefahr, das System über einen planetaren Schwellenwert zu treiben und irreversibel auf einen Heißzeit-Kurs zu bringen?“

Das fragen Klimatologen um Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, am Ende eines Artikels, der sich exakt dieser Frage gewidmet und sie eher engagiert mit „Ja“ beantwortet hat: Selbst wenn das Pariser Klimaziel, die Erwärmung in Grenzen von zwei Grad zu halten, erreicht würde, könne das System in zehn Bereichen kippen und in einem Dominoeffekt zu einer Erwärmung von vier Grad führen, die Folgen wären dramatisch: „Ein Weg in eine Heißzeit (im englischen Original: „hothouse“) würde bis Ende des Jahrhunderts fast mit Gewissheit Flussdeltas überschwemmen, das Risiko von Stürmen an Küsten erhöhen und Korallenriffe auslöschen.“

Die Redeweise im Ungefähren bzw. im Konjunktiv zieht sich durch die gesamte Publikation, sie ist der Komplexität des Themas angemessen: Sicher weiß man vom Klima nur, dass es global seit Beginn der Industrialisierung um ein Grad Celsius wärmer wurde. Das rechnet man auch menschgemachten Treibhausgasen zu, speziell dem Kohlendioxid (CO2), dessen Gehalt in der Atmosphäre von 280 auf 400 ppmV (CO2-Moleküle pro Million Moleküle in der Luft) gestiegen ist, linear. Gestiegen sind auch die Temperaturen, allerdings nicht linear: Ein großer Schub kam 1975 bis 1998, dann blieb es heiß, wurde aber bis 2014 nicht wärmer.

Machen Rückkoppelungen . . .

Die Gründe sind umstritten, das Klimasystem ist voll mit Rückkoppelungen, und die können auch in die andere Richtung gehen. Ebendas befürchten die Forscher in den zehn Bereichen. Sie begründen das allerdings nicht mit neuen Befunden, sondern aktualisieren alte Sorgen – daher ist ihre Publikation als „Perspective“ gekennzeichnet: In diesem Blickwinkel geht es etwa um die Permafrostböden, deren Auftauen zusätzliche Treibhausgase emittieren könnte; da geht es um die Wälder, die des Nordens so wie die am Amazonas; da geht es um Klathrate, das sind Eisstrukturen im Meeresboden, in denen viel Treibhausgas steckt: Methan.

Für die geben die Forscher im Anhang ihrer Publikation Entwarnung, zumindest kurzfristige, diese Gefahr sei „bis 2100 vernachlässigbar“. In allen anderen Bereichen hingegen sehen sie ab dann, oder auch „später“, Übles drohen: Etwa vom schmelzenden Eis der Westantarktis, das die Meeresspiegel „in Jahrhunderten bis Jahrtausenden“ um „drei bis fünf“ Meter heben könnte, insgesamt könnten gar Erhöhungen von „zehn bis 60 Meter“ drohen. Das ist insofern schwer nachvollziehbar, als für 60 Meter das Eis der ganzen Antarktis geschmolzen sein müsste und es derzeit eher einen Gegentrend gibt: Durch die Erwärmung kommen mehr Niederschläge, die türmen sich zu solchen Gletschern, dass Forscher des Potsdamer Instituts in einer früheren Publikation von der Antarktis eher eine Entlastung der Meeresspiegel kommen hatten sehen.

. . . die Erde unbewohnbar?

„Was steht auf dem Spiel?“, fragen die Autoren und lassen es in der Antwort weder an Drastik noch Vagheit mangeln: „Das Hothouse Erde wird wahrscheinlich unkontrollierbar und für viele gefährlich, insbesondere, wenn der Übergang erst in einem Jahrhundert kommt oder zwei, und es bringt ernste Risiken für Gesundheit, Ökonomien und politische Stabilität und letzten Endes die Bewohnbarkeit des Planeten für Menschen.“

Die übrigen Klimaforscher reagieren gespalten: Martin Siegert (London) sieht in der Publikation nur einen neuen Punkt – dass die Gefahr schon bei plus zwei Grad droht –, und für diesen keine Belege. Reto Knutti (ETH Zürich) ist alles zu wenig konkret. Andere fürchten, dass angesichts der weltpolitischen Lage bzw. Akteure alle Appelle zum Klimaschutz verhallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2018)

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