Stadtplan: Die Kinder in der Stadt

"Früher, in meiner Kindheit, da war das anders, besser."

Meist ist dies eine Killerphrase, die Neuerungen verhindern will. Manchmal mag es aber stimmen.

Kinder vor vierzig, fünfzig Jahren in der Stadt. Da gab es sie noch, die G'stettn, die unverwalteten Freiräume, wo man sich traf und stundenlang unbeaufsichtigt einfach miteinander spielen konnte. Das ist einer der größten Vorwürfe, den man der modernen Stadt machen muss: Für Kinder ist sie ein feindlicher Lebensraum. Die Straße wurde vollständig dem Auto geopfert, Spielplätze sind im dicht besiedelten Gebiet rar, häufig total übernutzt und oft erbärmlich in ihrer Ausgestaltung. Als Ersatz wurden drinnen wie draußen gestaltete, verwaltete, jedenfalls geregelte Räume geschaffen. Der Turnsaal, der Sportplatz, der kleine isolierte und private Garten, die Spielecken drinnen. Die fatale Konsequenz für Kinder wie Eltern: 24 Stunden „Programm”.

Völlig richtig merkt dazu der dänische Familientherapeut Jesper Juul an: „In Skandinavien verbringen 95 Prozent der Kinder zwischen dem ersten und dem 14. Lebensjahr insgesamt unglaubliche 26.000 Stunden in pädagogischen Einrichtungen, in denen sie ein vorgegebenes Programm absolvieren müssen. Wie Kinder wohnen, wie sie sich durch die Stadt bewegen, das alles hat sich verändert, die Grenzen um die Kinder herum waren nie enger als jetzt. Die armen Kinder haben ja heute kaum noch Zeit für sich, sie haben keinen erwachsenenfreien Raum, wie meine Generation ihn noch hatte. Auf der Straße, im Hof, im Wald – da haben wir früher soziale Kompetenz erworben, nicht in der Schule oder zu Hause, wo wir allenfalls gelernt haben, wie man sich korrekt und höflich verhält.”

Noch schärfer drückt es der Neurobiologe Gerald Hüther aus: „Kinder unter Daueraufsicht, die immer nur an der Hand von Erwachsenen umhergeführt werden, gleichen Haustieren, Stalleseln, die das Leben in der Freiheit nicht mehr kennen.” Die Forderung ist simpel. Wir müssen viele dieser „erwachsenenfreien Zonen” wieder schaffen, wo Kinder auch ohne Aufsicht hinkommen können – hundertmal in der Stadt. Das ist auch gar nicht so schwer. Temporär in größeren Baulücken, in Innenhöfen oder auf Stadtbrachen wie z.B. dem Gaudenzdorfer Gürtel. Es lohnt danach zu suchen. Die Kosten wären minimal, ein paar Baumstämme, Bretter und anderes „unnötiges Zeugs” werden für Kinder zu einer wunderbaren Phantasiewelt. Let's do it!

www.chorherr.twoday.net

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2010)

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