Der US-Präsident schwankt gegenüber Moskau zwischen Anbiederung und sinnloser Härte. Jetzt verschärft er ohne Beweise Sanktionen im Fall Skripal.
Mehr als fünf Monate ist es her, dass Sergej Skripal und seine Tochter, Julia, bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury gefunden wurden. Vergiftet mit Nowitschok, einem Kampfstoff, den einst sowjetische Chemiker entwickelt hatten. Der Verdacht der britischen Ermittler richtete sich daher schnell gegen Moskau. Das erschien auch deshalb plausibel, weil die Russen eine Rechnung offen hatten mit ihrem ehemaligen Agenten Skripal, der dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 als Informant gedient haben soll.
Die Indizien waren stark, Beweise für eine russische Verwicklung in den Giftanschlag blieb die Regierung in London bis heute schuldig. Dennoch gelang es den Briten in der ersten Aufregung, Sanktionen gegen Russland zu organisieren: Die meisten westlichen Staaten zogen ein paar Diplomaten aus Moskau ab – Österreich übrigens nicht. Die Amerikaner fungierten als Einpeitscher und holten 60 diplomatische Vertreter zurück nach Washington.
Inzwischen haben die Skripals das Spital verlassen, und die meisten zurückbeorderten europäischen Diplomaten sind längst wieder in Moskau. Doch politisch abgeschlossen ist der Fall noch lang nicht. Denn die Mühlen des US-Außenministeriums mahlen in ihrem eigenen Tempo. Wie ein Sprecher des State Department der erstaunten Welt verkündet hat, werden die USA am 22. August neue Sanktionen gegen Russland in der Causa Skripal verhängen.
Es ist zwar nichts über neue Beweise bekannt, zusätzliche Strafmaßnahmen wird es aber trotzdem geben, und zwar gemäß einem „Gesetz zur Kontrolle und Eliminierung chemischer und biologischer Waffen“ aus dem Jahr 1991. Demzufolge müssen die USA jeden Staat innerhalb von 60 Tagen bestrafen, der diese Massenvernichtungswaffen einsetzt. Die Zweimonatsfrist hat die US-Regierung gnädig verstreichen lassen. Vor dem Präsidententreffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin Mitte Juli in Helsinki wäre eine frische Packung Vergeltungsaktionen nicht so gut angekommen.
Allzu hart dürften die neuesten Handelsbeschränkungen für sicherheitspolitisch sensibles Material Russland zunächst nicht treffen. Militärisch relevante Güter stehen schon seit der Präsidentschaft Obamas auf dem Exportindex. Das dicke Ende könnte jedoch noch kommen. Laut dem Sanktionsgesetz ist nämlich eine weitere Verschärfung vorgesehen, wenn Moskau innerhalb von 90 Tagen nicht glaubhaft versichert, dass es künftig keine chemischen und biologischen Waffen anwendet. Diesen Nachweis wird der Kreml kaum erbringen wollen. Denn erstens würde Putin damit indirekt bestätigen, tatsächlich Nervengift gegen Skripal eingesetzt zu haben, was er heftig abstreitet. Und zweitens wird er kaum dulden, dass Inspektoren durch seine Militärlabors streifen.
Es ist also programmiert, dass sich die Sanktionsschraube gegen Russland munter beschleunigt. Die nächste Drehung könnte verheerende Folgen haben, wie ein US-Regierungsbeamter vor Journalisten andeutete: Von einem fast kompletten Embargo über eine Herabstufung der diplomatischen Beziehungen bis hin zu einem Landeverbot für Aeroflot sei alles drin. Daraufhin stürzten der Rubel und die Aktie der Luftlinie ab. Das geht in Richtung Wirtschaftskrieg.
Es gibt gute Gründe, Putin Grenzen aufzuzeigen. Wer fremdes Territorium annektiert und Völkerrecht verletzt, muss mit Konsequenzen rechnen. Auch wer sich dabei erwischen lässt, wie er Gegner vergiftet oder gezielt mit Troll-Lügen Wahlen in westlichen Demokratien beeinflusst. Doch Strafen sollten nur dann verhängt werden, wenn die Beweise für das Fehlverhalten stichfest sind. Das ist im Fall Skripal bisher nicht so.
Eine Linie ist in Trumps Russland-Politik nicht zu erkennen, eher ein fahriges Kindergekritzel mit vielen wirren Linien. In Helsinki hat er sich Putin noch auf verstörend peinliche Weise angebiedert. Dreieinhalb Wochen später nickt Trump einen unfundierten Sanktionsautomatismus ab. Erklärungen, wonach der US-Präsident bloß davon ablenken wolle, dass die Russen ihn im Wahlkampf unterstützt hätten, greifen zu kurz. Der Mann hat den Laden in Washington einfach nicht im Griff.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2018)