Familienbeihilfe: Kritik aus Brüssel

Für Kinder soll weiterhin gleich viel Familienbeihilfe bezahlt werden – auch wenn sie im Ausland leben, so die Position der EU.
Für Kinder soll weiterhin gleich viel Familienbeihilfe bezahlt werden – auch wenn sie im Ausland leben, so die Position der EU. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die EU-Kommission widerspricht Österreichs Argumentation, eine Anpassung der Familienbeihilfe an Lebenskosten im Ausland stehe im Einklang mit EU-Recht.

Brüssel/Wien. Die EU-Kommission widerspricht der Darstellung Österreichs, dass eine Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes auf jeden Fall im Einklang mit EU-Recht stehe. Sobald es um grenzüberschreitende Aspekte gehe, gebe es „Regeln, die eine Gleichbehandlung sicherstellen und Diskriminierung verhindern“, hieß es am Sonntag aus Brüssel.

Dies sei auch der Grund dafür, warum im EU-Recht derzeit keine Anpassung der Höhe des Kindergeldes vorgesehen sei. Es gelte die Logik, dass gleiche Beiträge auch zu gleichen Vorteilen führen sollten, so die für die Einhaltung von EU-Recht zuständige Brüsseler Behörde in Anspielung darauf, dass EU-Bürger auch in das jeweilige Sozialversicherungssystem einzahlen. Ihre nationalen Sozialsysteme könnten die Mitgliedstaaten freilich frei gestalten, hieß es weiter.

Die türkis-blaue Regierung will die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an die dortigen Lebenshaltungskosten anpassen. Die EU-Kommission prüft derzeit, ob die von Österreich geplante Indexierung der Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland mit dem Unionsrecht kompatibel ist. Brüssel hat jedoch immer betont, dass eine Anpassung von Zahlungen an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes wegen des Verbots von Diskriminierung nirgendwo im EU-Recht vorgesehen sei.

Schützenhilfe aus Deutschland

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat am Wochenende ebenfalls diese Linie verdeutlicht: Er halte einen weiteren Vorstoß für neue Regeln für Familienbeihilfenzahlungen ins EU-Ausland für wenig chancenreich. Oettinger meint außerdem: „Es gibt eine klare Tendenz unter den EU-Mitgliedstaaten, die gegenwärtige europäische Rechtslage nicht zu ändern“, so der CDU-Politiker gegenüber dem „Tagesspiegel“.

Oettinger verwies demnach auf Beratungen im Rat der EU-Sozialminister vom vergangenen Juni, bei denen sich eine Mehrheit der Minister gegen eine Anpassung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an die dortigen Lebenshaltungskosten ausgesprochen hatte.

Über den (völlig legalen) Bezug von Kindergeld für Kinder im Ausland wird derzeit auch in Deutschland diskutiert. Angeheizt wird die Debatte, weil zum Teil Hinweise auf Betrug vorliegen. Dabei erhält Österreich beim Vorhaben zur Indexierung der Familienbeihilfe teilweise auch Schützenhilfe aus Deutschland. Nach Ansicht des FDP-Chefs Christian Lindner sollte sich die Höhe der Familienbeihilfe (in Deutschland Kindergeld) „an den tatsächlichen Unterhaltskosten in dem Land orientieren, in dem das Kind lebt“. Die Kosten in den osteuropäischen Staaten seien „eben niedriger als in Deutschland“, so Lindner.

Bayerns Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), forderte indes „Mechanismen, die Sozialmissbrauch wirksam unterbinden“. Der Rechtsstaat müsse „durch verstärkte Kontrollen und Überprüfung“ einschreiten, wenn „Kindergeldleistungen durch fiktive Arbeitsverhältnisse mithilfe von Schlepperbanden erschlichen werden“, so Söder.

Hintergrund der Debatte in Deutschland ist ein Rekord an ausländischen Kindergeldempfängern. Mehrere Oberbürgermeister sprechen von einer zunehmenden Migration in das Sozialsystem. So sieht Duisburgs Rathauschef, Sören Link (SPD), Schlepper am Werk, die Menschen in heruntergekommenen Wohnungen unterbringen, ihnen Scheinbeschäftigungen verschaffen und einen Teil der Familienbeihilfe einbehalten. Genaue Zahlen von Missbrauchsfällen gibt es bisher aber nicht.

In Österreich seien jedenfalls keine solchen Fälle von Missbrauch bekannt, sagte Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) im Interview mit der DPA. In der Debatte um die Familienbeihilfe forderte sie eine „neue Gerechtigkeit“. Da Lebenshaltungskosten in der EU unterschiedlich hoch seien, sei eine Anpassung der Familienbeihilfe nur fair.

Bei Indexierung droht Klage

Türkis-Blau will, dass die Neuregelung, von der man sich 114 Mio. Euro an Einsparungen erhofft, in Österreich 2019 in Kraft tritt. Von der Kompatibilität mit EU-Recht sei sie überzeugt, bekräftigte Bogner-Strauß. Als Beleg wertete sie, dass Mitgliedstaaten über Zuerkennung und Berechnungsmethode von Familienleistungen selbst entscheiden dürften.

Experten halten das Vorhaben wegen des Antidiskriminierungsprinzips, nach dem auch der EuGH entscheidet, für EU-rechtswidrig. Die Kommission könnte Österreich im Fall einer Indexierung klagen. Zuletzt hat sich der eigentlich noch für vor dem Sommer angekündigte Gesetzesbeschluss verzögert. (APA/cim)

("Die Presse", Kulturmagazin, 13.06.2018)

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