Warum die türkische Lira abstürzt

Finanzminister Berat Albayrak konnte die Märkte nur kaum, und die Bevölkerung gar nicht beruhigen.
Finanzminister Berat Albayrak konnte die Märkte nur kaum, und die Bevölkerung gar nicht beruhigen.(c) APA/AFP/YASIN AKGUL
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Die Währungskrise hat sich enorm zugespitzt. Präsident Recep Tayyip Erdoğan beschwichtigt, die Notenbank will den Leitzins weiter nicht anheben.

Ankara/Wien. Seine jüngsten Ankündigungen brachten nicht die erhoffte Erholung. Am Montag beeilte sich der türkische Finanzminister, Berat Albayrak, der erschrockenen Bevölkerung umfassende Maßnahmen zu versichern, um den rasanten Fall der Türkischen Lira zu stoppen – ohne Details zu nennen. Albayrak, er ist auch der Schwiegersohn des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, konnte daher die Märkte nur kaum, und die Bevölkerung gar nicht beruhigen.

Seit Anfang des Jahres verlor die Lira mehr als 45 Prozent an Wert. Und Montagfrüh setzte es den nächsten Crash: Auf 7,24 Lira pro Dollar sackte die türkische Währung zeitweise ab, und auf 7,83 Lira pro Euro. Zum Vergleich: Vor einem Jahr war ein Euro 4,2 Lira Wert, und ein Jahr zuvor 3,3 Lira. Was sind die Gründe für die türkische Krise? Und welche Auswirkungen wird sie haben?

1. Was hat die aktuelle Währungskrise ausgelöst?

Die politisch schwierige Lage in der Türkei schreckt seit geraumer Zeit Investoren ab. Ratingagenturen hatten die Bonität des Landes schon im Frühling auf das sogenannte Ramsch-Niveau herabgestuft, die kreditgetriebene Wirtschaft gilt als überhitzt, das bereitet Experten Kopfzerbrechen. Es war kein Zufall, dass Erdoğan die Wahlen um mehr als ein Jahr, auf den heurigen Juni, vorzog: Er habe sich die Macht sichern wollen, bevor die große Krise ausbricht, sagen seine Kritiker. Nun, nach seiner Wiederwahl und der neu eingeführten Präsidialrepublik, mischt sich Erdoğan, wie befürchtet, gerne in die Angelegenheiten der scheinbar unabhängigen Zentralbank ein und verhinderte so eine kräftige Anhebung des Leitzinses.

An vielen Schaltstellen sitzen eher Vertraute des Präsidenten, als erfahrene Finanzexperten. Das hat die Investoren zusätzlich verunsichert. Das Fass zum Überlaufen brachte jetzt der politische Streit zwischen den USA und der Türkei. Der amerikanische Pastor Andrew Brunson befindet sich in der Türkei in Haft, die Trump-Regierung fordert dessen Freilassung. Wie am Freitag angekündigt, hat Washington deshalb ab Montag die Zölle für Stahl aus der Türkei von 25 auf 50 Prozent erhöht.

Demnächst dürften die Zölle auf Aluminium verdoppelt werden – auf 20 Prozent. Stabil war die Lira aber auch schon vorher nicht. Nun hat die Notenbank ankündigt, alles zu tun, damit die Liquidität der türkischen Wirtschaft gegeben ist. Zudem lockerte sie die Vorschriften für Fremdwährungsreserven für türkische Banken.

2. Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Märkte Europas?

Schwierig wird es für jene Banken, die in der Türkei stark engagiert sind oder dort Töchter haben. Laut einer Analyse der niederländischen Bank ABN Amro betrifft das vor allem die spanische BBVA – sie hält fast 50 Prozent an der türkischen Garanti Bank –, die italienische Unicredit, und in geringerem Maße die französische BNP Paribas und die britische HSBC. Darüber hinaus halte sich die Gefahr für Europa derweil in Grenzen, heißt es. Betroffen sind aber auch europäische Tourismusfirmen, die stark im Türkei-Geschäft involviert sind, etwa TUI oder EasyJet.

3. Welchen Ausweg hat die Türkei?

Experten schlagen vor allem die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor. Das würde auch bedeuten, dass sich die Türkei an strenge Auflagen halten muss. In der Vergangenheit lehnte Erdoğan jegliche Involvierung des IWF ab: Das würde die politische Unabhängigkeit der Türkei konterkarieren, sagte er. Auch will die Regierung den Leitzins nicht anheben. Diesen Vorschlag brachten Experten bereits Anfang des Jahres: Ankara hätte damit viel früher auf den Lira-Verfall reagieren können. Nun will die AKP verstärkt mit Ländern wie China, Russland und dem Iran handeln; die Geschäfte sollen in nationaler Währung abgewickelt werden.

4. Wie ist die türkische Bevölkerung betroffen?

Schlangen vor den Banken: Das war kein seltener Anblick am Montag in der Türkei. Die Kunden wollten ihr Vermögen in Dollar und Euro wechseln. Vertreter der Regierung beeilten sich, der Bevölkerung davon abzuraten und bei der Lira zu bleiben. Während Erdoğan die aktuelle Krise herunterspielt und jene gerichtlich verfolgen lassen will, die sich in sozialen Medien abschätzig über den Lira-Verfall äußern, machen schon Begriffe wie Stagflation die Runde. Inflation und Stagnation würden dann gleichzeitig die Türkei einholen. Ein Problem ist auch, dass mehr als 90 Prozent der öffentlichen Auslandsschulden, aber auch die Schulden unzähliger Unternehmer, in Dollar oder Euro aufgenommen worden sind. In dieser Währung müssen sie sie auch zurückzahlen.

5. Wie sind Urlauber betroffen?

Günstig ist ein Urlaub in der Türkei jedenfalls. Allerdings wurden Pauschalreisen meist schon lange vorher gebucht. Und Teile der Reise – etwa Flugsteuern – zahlen die Urlauber nicht in Lira, sondern in Regel in US-Dollar. In der Türkei selbst ist der Konsum derzeit allerdings sehr günstig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2018)

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