„Nur Ikea kann sich das leisten“

Expertin Olteanu über Tücken im Kampf gegen die Korruption.

Tina Olteanu ist Politologin an der Uni Wien und Expertin für Korruption in Osteuropa.

„Die Presse“: Ikea wehrt sich öffentlich gegen Korruption. Warum machen das nicht auch andere westliche Unternehmen in Osteuropa?

Tina Olteanu: Ikea steht in Russland seit dem Markteintritt im Rampenlicht und kann von einer öffentlichen Anklage imagemäßig profitieren. Die Manager haben bei ihrer kompromisslosen Linie den Rückhalt der obersten Führung. Und Ikea ist stark genug, um Dinge auszusitzen und Expansionen zu verschieben. Wie viele andere Firmen können sich das leisten? Kleinere Unternehmen würden eine monate- oder jahrelange Verschleppung von Genehmigungen oft gar nicht überleben.

Was kann Ikea bewirken?

Olteanu: Viele Investoren fühlen sich von Ikeas Kampf nur gestört. Sie haben Schmiergelder kalkuliert und mit ihnen leben gelernt. Wenn sie sich jetzt „outen“, droht ihnen ein Verfahren. Aber Ikea regt eine neue, wichtige Diskussion an.

Was unterscheidet die Korruption in Russland von der in Westeuropa?

Olteanu: Bestechungsgelder für Politiker bei Bau- oder Rüstungsprojekten gibt es überall. In Osteuropa aber durchzieht die Korruption den ganzen Verwaltungsapparat. Und das Besondere an Russland ist, dass Beamte noch bis zur Eröffnung einer Fabrik oder eines Marktes Geld abschöpfen. Sie halten nicht plump die Hand auf, sondern erzählen zum Beispiel von einer „neuen Zusatzsteuer“. Wer sie nicht zahlt, erhält schikanöse Auflagen, etwa für den Brandschutz. Viele westliche Investoren wollen das gar nicht als Korruption erkennen – sie finden das alles etwas seltsam, spielen aber mit.

Welche Möglichkeiten haben kleinere Firmen, sich gegen korrupte Beamte zu wehren?

Olteanu: Sie können von Anfang an den Kontakt zu regionalen Politikern suchen und ihnen erklären, wie wichtig ihre Investition für die Region ist. Aber das ist eine Gratwanderung – oft sind die Politiker selbst korrupt und missverstehen gut gemeinte Annäherungsversuche.

Auch in Rumänien und Bulgarien gibt es viel Korruption, trotz des EU-Beitritts.

Olteanu: Brüssel hat dort für rechtliche Rahmenbedingungen gesorgt. Es gibt jetzt gute Vorschriften und eine Antikorruptionsbehörde. Aber die Verfahren versickern, weil die Justiz unterfinanziert und überlastet ist. Das macht alles zahnlos.

Oft heißt es, die Wurzel der Korruption sei die schlechte Bezahlung der Beamten...

Olteanu: Das ist ein Mythos. Auch hohe, gute bezahlte Beamte kassieren Schmiergeld. Schon in der Sowjetzeit nahmen Politiker auf die Verwaltung Einfluss und setzten Regeln außer Kraft. Mit der Wende kamen die Privatisierungen. Da lernten die Beamten, dass Bestechung auch im neuen System bestens funktioniert.

Ist Medwedjews Kampfansage gegen die Korruption ernst zu nehmen?

Olteanu: Seine Pläne sind populär und bringen ihm Punkte im Westen. Aber auch im Kommunismus gab es Säuberungskampagnen gegen korrupte Netzwerke. Dahinter stand oft nur der Wunsch, Konkurrenten zu entmachten. Ein ernsthafter Kampf braucht Zeit. Man muss neue Strukturen schaffen, etwa Kronzeugenregelungen und Anreize für die Bevölkerung, Vergehen zu melden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2010)

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