Der eiserne Cyber-Vorhang

Hugo Chavez will Cyberaktivist werden“, verlautete die Austria Presse Agentur am Montag um 1.30 Uhr Früh. Der venezolanische Staatschef geht in die Offensive, um, wie er sagt, den Beweis anzutreten, dass er nicht vorhabe, den Zugang zum Internet zu beschränken. Deshalb habe man auch bereits 668 Internetzentren eingerichtet, von denen aus die Bevölkerung Zugang zum Web hat. 200 weitere sollen 2010 folgen. Kommt jetzt also die totale Meinungsfreiheit auf die Venezolaner zu?

Eher das Gegenteil ist zu befürchten. Das Internet ist nämlich, hat erst einmal ein Großteil der Bevölkerung einen Anschluss, schwer zu kontrollieren. Wenn Chavez also öffentlich Computer zur Verfügung stellt, wo er den Leuten buchstäblich auf die Finger schauen kann, wird er leichter den Überblick behalten, als wenn er dafür sorgte, dass sich seine Landsleute wirtschaftlich und bildungsmäßig in der Situation befinden, mehrheitlich einen Internetanschluss daheim zu haben (nur knapp über fünf Prozent der Venezolaner haben derzeit Internetzugang).


Wie aufwendig es für autoritäre Regimes sein kann, heikle Inhalte aus dem Web zu filtern, exerzieren die Chinesen vor: Die Regierung in Peking hat eigene Suchtrupps, die Internetseiten und E-Mails nach verdächtigen Inhalten durchstöbern, und zwingt Suchmaschinenbetreiber dazu, Texte zu bestimmten Themen zu zensurieren – bei Google denkt man derzeit darüber nach, ob man das weiterhin mitmacht. Internetdissidenten oder oppositionelle Blogger müssen jederzeit mit Verfolgung und Verhaftung rechnen. Die Chinesen sollen nach dem Wunsch ihrer Regierung hinter dem eisernen Cyber-Vorhang leben. Kritiker werden mundtot gemacht.

Auch Chavez schafft das bestens – er lässt missliebige TV-Sender zusperren und hetzt kritischen Internetportalen wie „Noticiero Digital“ die Justiz an den Hals. Da müssen die Journalisten noch froh sein, wenn ihnen nicht mehr passiert: 110 Kollegen wurden 2009 weltweit wegen ihres Berufes getötet, einer davon in Venezuela. Ihr Vergehen ist immer das gleiche: Sie wollen nicht schweigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2010)

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