Experte ortet zwei mögliche Ursachen für Brückeneinsturz

Die eingestürzte Morandi-Brücke in Genua.
Die eingestürzte Morandi-Brücke in Genua.APA/AFP/FEDERICO SCOPPA
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Betonbau-Experte Lutz Sparowitz erklärt die Schwachpunkte der Zügelgurtbrücke. Einen generellen Konstruktions- oder Statikfehler bei der 55 Jahre alten Brücke schließt er aus.

Zwei mögliche Ursachen für den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua sieht der Experte Lutz Sparowitz: Entweder gab es ein Problem mit dem Seil oder mit dem Fundament des Pfeilers. "Um das genauer bestimmen zu können, müsste man noch einige Aufnahmen mehr sehen können", sagte Sparowitz, früher Leiter des Instituts für Betonbau an der TU Graz und emeritierter Universitätsprofessor.

Einen Konstruktionsfehler schloss Sparowitz aus, wie er im Gespräch mit der Austria Presse Agentur erläuterte. "Die Brücke wurde von einem ganz berühmten Ingenieur geplant, Riccardo Morandi", sagte Sparowitz. Sein berühmtester Bau in diesem Zusammenhang ist die General-Rafael-Urdaneta-Brücke im venezolanischen Maracaibo. "Die Brücke ist 55 Jahre alt, es kann kein Konstruktionsfehler oder statischer Fehler die Ursache sein." Der Polcevera-Viadukt wurde in den Jahren 1963 bis 1967 errichtet.

Zügelgurtbrücke

"Es handelt sich um eine sogenannte Zügelgurtbrücke. Es gibt zwei A-förmige Stützen, die etwa 80 Meter hoch sind", erläuterte Sparowitz. Man müsse sich das wie einen stehenden Menschen vorstellen der die Arme ausbreite. Diese beiden Arme seien durch ein Seil über den Menschen miteinander Verbunden. "Versagt ein Seil, dann bricht das Ganze zusammen." Die Arme sind die Brücke. "Bei dieser Brücke ist es so, dass der Mensch alleine dasteht." Ein Nachbarpfeiler könne bei einer gewissen Schwäche dieses Pfeilers nicht ausgleichend wirken. "Die Brücke ist statisch bestimmt, es gibt keine Umlagerungsmöglichkeit, sagen wir", betonte der Experte. "Das würde man heute so nicht mehr bauen."

Die zweite Möglichkeit betrifft die Gründung. Diese könnte unterwaschen worden sein, dem sprichwörtlichen Menschen mit den ausgebreiteten Armen könnte es damit das Fundament unter den Füßen weggezogen haben, wodurch er bzw. der Brückenpfeiler umgefallen sei. Zum Zeitpunkt der Katastrophe ging ein Unwetter über der Brücke nieder. Zeugen berichteten von einem Blitzeinschlag in der Brücke.

Sparowitz wies darauf hin, dass es in Österreich ein strenges Reglement seit dem Einsturz der Wiener Reichsbrücke am 1. August 1976 gibt. "Jede Brücke in Österreich wird regelmäßig in bestimmten Intervallen begutachtet, gewartet und bei Notwendigkeit auch saniert", sagte der Experte. "Es hat ja auch in Genua Wartungsarbeiten gegeben, wie ich gelesen habe." Der Betonbauer wollte ausdrücklich nicht darüber spekulieren, ob diese Arbeiten das Fundament des Pfeilers betrafen und ob dabei eventuell etwas schiefgegangen sein könnte.

Sparowitz betonte, dass es in Österreich mehrere tausend Brücken gibt. Pro Tag müssten sicher fünf bis zehn Brücken kontrolliert werden. "60 bis 70 Prozent des finanziellen Aufwandes für Brücken liegen sicher in der Erhaltung, und nur 30 bis 40 Prozent im Neubau."

(Schluss) gu/ad

(APA)

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