Im türkisch-amerikanischen Poker ist die EU die sichere Bank

Geld ist der dritte Faktor, der für Europa spricht.
Geld ist der dritte Faktor, der für Europa spricht. APA/AFP
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Für Ankara ist es überlebenswichtig, dass der Waren- und Geldfluss von und nach Europa nicht versiegt. Die Balkan-Route wird daher dicht bleiben.

Der Beschluss fiel im Windschatten der großen Aufregung: Während die halbe Finanzwelt und die ganze Türkei zu Wochenbeginn abwechselnd an den Lippen von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hingen und auf die Fieberkurve des Wechselkurses Lira–Dollar starrten, ordnete ein Gericht in der türkischen Provinz Edirne unter kleinstmöglicher Zuhilfenahme von Massenkommunikationsmitteln die Freilassung von zwei inhaftierten griechischen Grenzsoldaten an. Die Unglücksraben hatten im März bei einer Patrouille versehentlich die griechisch-türkische Grenze überquert, wurden festgenommen und prompt der versuchten Spionage angeklagt. Nach der gerichtlichen Anordnung wurden die beiden in ein Flugzeug gesetzt und nach Hause verfrachtet. Nur wenige Stunden später war alles so, als ob nichts gewesen wäre.

Die griechischen Grenzer waren eigentlich als Chips im Pokerspiel gegen Europa gedacht. Ankara wollte sie gegen jene türkischen Soldaten eintauschen, die nach dem Putschversuch gegen Erdoğan im Juli 2016 ins benachbarte Griechenland geflohen waren. Die abrupte Freilassung – denn der Spionageprozess soll trotz der Abwesenheit der beiden Griechen weitergehen – deutet darauf hin, dass der türkische Präsident sein politisches Kapital umschichtet. Denn in der laufenden Partie gegen US-Präsident Donald Trump sind die Einsätze viel höher. Erdoğan braucht dieser Tage alle Freunde, die er kriegen kann. Und wenn schon keine Freunde, dann wenigstens neutrale Unbeteiligte, die den Konflikt mit den USA nicht zusätzlich anheizen.

Dass der EU im Pokerspiel Erdoğan gegen Trump die Rolle der sicheren Bank zufällt, hat mindestens drei Gründe. Der wohl wichtigste Grund ist der Modus Operandi der europäischen Entscheidungsträger: Sie sind berechenbar, halten sich im Umgang mit Drittstaaten an klare Spielregeln, sind auf Konsens geeicht und Schnellschüssen abgeneigt. Und sie leiden nicht an Twitter-Logorrhö.

Grund Nummer zwei ist die Ermangelung ernst zu nehmender Alternativen. Weder Russland noch China taugt als neuer bester Freund der Türkei. Beide Mächte kochen in der Region ihre eigenen geostrategischen Süppchen – mit der Türkei als schmackhafter Zutat. Das Nahost-Emirat Katar wiederum ist Ankara freundschaftlich verbunden, hat viel Geld – aber wenig politisches Gewicht.

Geld ist der dritte Faktor, der für Europa spricht. Jene 15 Milliarden Dollar, die Katar zur Verfügung stellen will, bringen die Türkei nicht weiter, denn nach Schätzungen der Großbank HSBC beträgt der externe Finanzierungsbedarf des Landes allein im kommenden Jahr knapp 240 Mrd. Dollar. Dass die EU diese Lücke stopft, kommt naturgemäß nicht infrage. Doch aus der türkischen Perspektive ist es von essenzieller Bedeutung, dass der Waren- und Investitionsfluss von und nach Europa nicht versiegt, dass die Wirtschaftsbeziehungen nicht leiden und dass die EU jene insgesamt sechs Milliarden Euro überweist, die sie für die Bewältigung der Flüchtlingskrise in der Türkei zugesagt hat. Auch mit Europa als Partner ist eine Währungskrise zwar nicht auszuschließen. Aber ohne Europa ist der Crash so sicher wie das Amen im Gebet.

Apropos Flüchtlinge: Angesichts des Konflikts mit den USA ist davon auszugehen, dass Erdoğans frühere Drohungen, die Vertriebenen aus Syrien in Richtung EU-Außengrenze weiterzutreiben, in der diplomatischen Rundablage entsorgt werden. Die berühmt-berüchtigte Balkan-Route, der Poltergeist der österreichischen Innenpolitik, dürfte also bis auf Weiteres dicht bleiben.

Die erste Gelegenheit zur Verbesserung der angeknacksten Beziehungen bietet sich Ende August beim informellen EU-Außenministerrat in Wien an, bei dem auch die Türkei vertreten sein wird. Die Europäer sollten die Gelegenheit nützen und auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei drängen. Denn wenn die Lira noch tiefer in die Knie geht, wird Ankara andere Sorgen haben als die Jagd auf vermeintliche Regierungskritiker. Europas Einfluss auf die Türkei hat sich jedenfalls vergrößert. Dank Donald Trump.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2018)

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