Wir Europäer müssen uns zusammenreißen

Transferunion? Nein. Schuldenberge? Nein. Für Europa gibt es nur einen Weg. Die Staaten müssen in die Pflicht genommen werden. Erste Schritte sind getan.

Ben Bernanke ist heute von vielen schon vergessen. Er saß als Chef der US-Notenbank im wichtigsten Sessel der Welt, als die Finanzkrise ausbrach – und drückte sofort auf den roten Knopf mit der Aufschrift „Gelddrucken“. Die Adrenalinspritze hatte Wirkung. Das Herz der Weltwirtschaft begann wieder zu schlagen. Heute stehen die Kurse viel höher als 2008.

Dass Bernankes lockeres Geld die Basis für die nächste Blase bildet? Dass die amerikanische Staatsschuld steigt und steigt? „Wen kümmert's“, sagen die Amerikaner. „Die Party geht weiter. Wer nicht tanzt, ist selbst schuld. Und wenn die Musik wieder ausgeht, wird uns schon etwas einfallen.“ Von jenen, die sich noch an ihn erinnern können, wird Ben Bernanke heute als „Hero“ gefeiert. Als Held.

In Washington wird eben zuerst gehandelt und dann abgewartet, was passiert. In Europa geht das ganz anders. Bei uns wird schon vor der Handlung über die Folgen gestritten und debattiert, ob nun die spaßbefreiten Nordländer oder die eher komfortorientierten Südländer mehr profitieren würden. Da sollte es nicht verwundern, dass Europa sich mit den Folgen der Finanzkrise schwertut. Bis heute.

Aber man muss auch sagen: Angesichts der Umstände ist doch viel geschehen. Griechenland ist nicht aus dem Euro ausgeschert. Ebenso wenig Italien, Spanien oder Portugal. Europa hat in der Krise ein Flickwerk an Provisorien geschaffen, das seinen Zweck bisher erfüllt. Etwa den „Rettungsschirm“ – aus dem jetzt eine Art Währungsfonds entstehen soll. Wobei über die Form, die Rolle und den Namen natürlich noch gestritten wird.

Auch die Europäische Zentralbank konnte sich beweisen. Deren Präsident, Mario Draghi, konnte auf dem Höhepunkt der Eurokrise mit seinem Sager, dass er alles tun werde, um den Euro zu retten, tatsächlich das Schlimmste verhindern. Kurz darauf drückte er dann auch auf den roten Knopf mit der Aufschrift „Gelddrucken“. Er hat die Hand immer noch drauf.

Aber anders als Bernanke wird er sich auch für die negativen Folgen verantworten müssen. Draghi mag die richtigen Maßnahmen gesetzt haben. Als Held wird er nicht in die Geschichte eingehen. Denn jede Rede, jeder Zinsschritt und jede Millimeterabweichung der Inflation nach oben wird von den Nordstaaten argwöhnisch beobachtet. Sie wollen eine Transferunion in jedem Fall verhindern. Aber die Krise hat gezeigt, dass „Mehr Europa“ mancherorts notwendig sein wird, um die EU handlungsfähig zu machen. Paris und Berlin basteln deshalb bereits an einer Vertiefung der Eurozone.

Das führt zu einer Frage, die seit der Griechenland-Krise offen ist: Wie kann Europa es schaffen, die Union weiterzuentwickeln, ohne sich dabei aufzureiben? Wie kann die notwendige Stärkung der EU mit der bereits angelaufenen Renaissance des Nationalstaats vereinbart werden? Die Antwort ist simpler, als es scheint. Eine Transferunion wäre ohnehin dumm. Wie wir am Beispiel der deutschen Wiedervereinigung sehen, ist so eine Subventionierung ohne Bedingungen kontraproduktiv. Der Osten hinkt dem Westen trotz vieler Milliarden Euro noch immer hinterher.
Die Alternative? Die Nationalstaaten müssen noch stärker als bisher in die Pflicht genommen werden. Deshalb war der Ansatz auch richtig, finanzielle Hilfen an konkrete Reformaufgaben zu binden. Die Staaten Europas müssen langfristig von selbst stehen und gedeihen können – unter dem Euro in Vielfalt geeint, wie es schon das Motto der EU sagt.

In den Krisenstaaten sind Einschnitte getätigt worden, die schmerzhaft, aber notwendig waren. Weitere werden folgen. Eine erfolgreiche Rettung bedeutet noch keine nachhaltige Sanierung. Aber vielleicht kann es auf diesem Weg gelingen, zum ursprünglichen Plan einer Stabilitätsunion zurückzukehren, in der sich die Mitglieder an feste Regeln halten.

Das mag illusorisch klingen. Aber in den Tag hineinzuleben und Schulden ohne Ende aufzutürmen, wie es die Amerikaner tun, ist für uns Europäer keine Option. Wir müssen uns im wahrsten Sinn des Wortes zusammenreißen. Damit wir wissen, was zu tun ist, wenn die Musik wieder zu spielen aufhört.

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2018)

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