Die Familie hält Anteile am Betreiber der in Genua eingestürzten Brücke. Rom schießt sich auf diese und andere Autobahnfirmen ein.
Rom/Wien. Riesige Betonbrocken, aus denen Stahlseile heraushängen, werden Stück für Stück herausgetragen: Nach dem fatalen Einsturz der Morandi-Brücke in Genua dauern die mühsamen Aufräumarbeiten an, noch immer werden Menschen vermisst. 39 Todesopfer haben die Behörden bisher gezählt, und es gilt als wahrscheinlich, dass sich diese Zahl noch erhöhen wird. Der Schaden wird in Versicherungskreisen auf 400 Millionen Euro geschätzt. Zu dieser Groben Schätzung wird auch der Schaden an der Brücke und den abgestürzten Autos sowie die Betriebsunterbrechungs-Police, die für die Maut-Ausfälle auf der Strecke aufkommen müsste, summiert.
Indes macht die italienische Regierung ernst und entzieht dem Betreiber Autostrade per l'Italia die Konzession. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte am Freitag, das Verkehrs- und Infrastrukturministerium habe sich in einem offiziellen Schreiben an Autostrade gerichtet, um den Entzug der Erlaubnis zum landesweiten Betrieb der Autobahnen einzuleiten. "Das Desaster verpflichtet uns neue Initiativen zu ergreifen, die drastischer sind als die vorheriger Regierungen", so Conte.
Auf Entsetzen und Trauer folgt in Italien nun die Wut: Ein Großteil der Opferfamilien hat angekündigt, nicht an der offiziellen Trauerfeier in Rom teilnehmen zu wollen, aus Ärger über die Aussagen und das Katastrophenmanagement der Regierung. Doch wer ist schuld an dem Brückeneinsturz? Seit wenigen Tagen stecken einander Regierung und Privatwirtschaft den Schwarzen Peter zu, zwischendurch nimmt Rom auch die EU in die Pflicht.
Eingeschossen haben sich alle jedenfalls auf die bekannte Textilfirma Benetton. Der Konzern Atlantia, der zu etwa 30 Prozent der Benetton-Familie gehört, betreibt unter anderem die Autostrade per l'Italia, zu dem auch die Morandi-Brücke gehört. „Es kann nicht sein, dass man Maut bezahlt und dann stirbt“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident, Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung. Die Firma Autostrade hingegen wird nicht müde zu versichern, der pflichtgemäßen Instandhaltung der Brücke nachgekommen zu sein. Die Regierung hat trotzdem eine Untersuchung eingeleitet: Innerhalb von zwei Wochen soll Autostrade beweisen, dass der Einsturz nicht auf ihre Nachlässigkeit zurückzuführen ist. Rom will zudem erreichen, dass Atlantia und somit auch Benetton die Kosten für eine neue Brücke sowie den Wiederaufbau der zerstörten Häuser darunter übernehmen sollen. Mehr als 560 Bewohner mussten ihre Häuser verlassen.
Autostrade steht seit Tagen unter Druck. Eine Studie macht die Runde, die die Firma offenbar vor zwei Jahren in Auftrag gegeben hat. Damals stellten die Techniker wohl gravierende Mängel an den Tragseilen der Brücke fest – von denen eines gerissen sein und so die Katastrophe verursacht haben könnte.
Nun denkt die italienische Regierung laut über eine Verstaatlichung der Autostraßen nach, das würde Atlantia auch die Lizenz inklusive Recht auf Mauterhebung kosten. Sich selbst sieht die Regierung nicht in der Pflicht, wenn, dann die sozialdemokratische Vorgängerregierung unter Matteo Renzi. Benetton habe schließlich dessen Wahlkampf finanziert, schrieb Di Maio in den sozialen Medien.
Beppe Grillo gegen Brücke
Renzi wies den Vorwurf zurück; die Bekleidungsfirma hat in einer Aussendung ihr „tiefes Beileid“ ausgesprochen und versichert, an der Aufklärung mitzuarbeiten. Ebenfalls in sozialen Medien verfassten User Wutpostings und griffen Benetton an, dem ein verzweigtes Firmenkonglomerat gehört – u. a. mit Beteiligungen an Flughäfen Roms oder der Generali-Assekuranz. Nach den Vorfällen in Genua fiel der Börsenkurs von Benetton; die Firma suchte zuletzt via Atlantia gerade Beteiligungen, etwa am deutschen Baukonzern Hochtief.
Dabei war früher gerade Beppe Grillo, Gründer der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, Teil einer Bürgerinitiative, die Stimmung gegen eine weitere Brücke in Genua gemacht hat. Dort wartet man unterdessen auf das große Verkehrschaos: wenn die Urlauber langsam zurückkehren. (red./ag.)
Auf einen Blick
Genua. Die vierspurige Morandi-Brücke, 1967 fertiggestellt, stürzte am Dienstag aus mehr als 200 Metern ein und riss drei Dutzend Autos und mehrere Lkw in die Tiefe. Bei der Brücke wurden zu dem Zeitpunkt Wartungsarbeiten durchgeführt, gleichzeitig setzte ein Unwetter ein. Mindestens 39 Menschen starben. Die italienische Regierung macht unter anderem private Autobahnbetreiber für das Unglück verantwortlich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2018)