Die Wiederentdeckung des KZ-Forschers Elmer Luchterhand

„Wenn man sich von der Schönheit der Berge ab- und dem Horror des Mauthausen genannten Lagers zuwendet, erklärt das Hirn das eine für real, das andere nicht – und dass die Welt nicht gleichzeitig derartige Extreme beherbergen kann.“ Der amerikanische KZ-Forscher Elmer Luchterhand (1911 bis 1996): eine Wiederentdeckung.

Die Behörden von Madison wissen mit dem aufgeregten jungen Mann nichts anzufangen. Schon bei seiner Festnahme muss er mit Gewalt abgeführt werden, dann zahlt er zwar die über ihn verhängte Geldstrafe, benimmt sich aber immer noch renitent. Also überweist ihn das Gericht des US-Bundesstaats Wisconsin einen Tag nach seiner Festnahme am 8. Juni 1932 „zur Beobachtung“ in eine Nervenheilanstalt. Dort wird schnell eine Diagnose ausgefertigt: „Psychopathy.“ Ein Student, der bei einer Demonstration von Arbeitslosen auftritt, ist suspekt. Ein Agitator, der der Polizei den Gehorsam verweigert und sich lieber inhaftieren lässt, als seine Rede zu unterbrechen, kann nicht bei Verstand sein. Der renitente Student ist Elmer Luchterhand. Die Erfahrung der eigenen Einsperrung sollte ihn nicht mehr loslassen. Zehn Jahre später wird der Enkel deutscher Einwanderer als Nachrichtenoffizier der US Army durch befreite Konzentrationslager reisen, Interviews mit KZ-Überlebenden führen und mit einer der ersten Arbeiten zum Alltag in den Konzentrationslagern eine soziologische Karriere in New York beginnen.

Aufgewachsen ist Luchterhand auf einer Farm in Colby, Wisconsin. Aufgrund seiner Herkunft nennen ihn die lokalen Zeitungen nach seiner Festnahme im Juni 1932 einen farmboy communist. Die Weltwirtschaftskrise betrifft zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr nur die Arbeiterschaft der Industriezentren. Auch in Wisconsin steigt die Arbeitslosigkeit, die Bauern geraten aufgrund des sinkenden Milchpreises in Bedrängnis, die sinkenden Löhne führen zu Streiks und Demonstrationen – der junge Luchterhand erfährt in diesem Umfeld seine politische Sozialisierung. Als Luchterhand für verrückt erklärt wird, kommt es zum Aufruhr. Hunderte Studierende und Lehrende seiner Universität protestieren neben Mitgliedern der Kommunistischen Partei für seine Freilassung, die zehn Tage später auf richterliche Anweisung tatsächlich erfolgt. Natürlich mit der passenden Diagnose: „Improvement.“

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