Staatsoper: Ein Sieg der Besonnenheit

Der künftige Staatsoperndirektor ist ein leiser Mann. So ging denn seine erste Bombe geradezu sanft hoch.

Es war eine Bombe, die Dienstag zur Mittagsstunde im Haus am Ring detonierte. Dominique Meyer, ab September Ioan Holenders Nachfolger, präsentierte seinen ersten Spielplan und verkündete ganz ohne Sforzato, dass sich in einer nächtlichen Sitzung wenige Stunden zuvor die Betriebsräte des Staatsopernorchesters und die künftige Direktion auf den Wortlaut eines neuen Kollektivvertrages geeinigt hätten.

Wenn man weiß, wie lange um diesen Vertrag gekämpft worden ist, und wenn man hört, dass das Staatsopernorchester künftig nicht 90, sondern 110 Probendienste pro Saison absolvieren wird, dann kann man ermessen, was diese Nachricht bedeutet. Die Staatsoper verdankt ihren internationalen Ruf ja nicht zuletzt der Qualität des Orchesters, das in seiner Freizeit unter dem Namen Wiener Philharmoniker konzertiert und getrost der erste Kulturbotschafter Österreichs genannt werden darf.

Franz Welser-Möst, designierter Generalmusikdirektor des Hauses, betonte im Rahmen der Einstandspressekonferenz des neuen Teams, dass es nicht immer leicht sei, die eminente Bedeutung der künstlerischen Leistungen, die an der Staatsoper erbracht werden, auch im Bewusstsein der heimischen Kulturpolitik zu verankern. Es stimmt: Was nach außen hin zu den wenigen sicheren Trümpfen des Österreich-Images gehört, gilt innenpolitisch erfahrungsgemäß eher als teures Erbstück.

Umso höher ist die Verhandlungsleistung zu veranschlagen, die das Orchester als wichtigsten Qualitätsfaktor wieder fester im Haus verankert. Es ist nicht lange her, dass unter jüngeren Mitgliedern der Philharmoniker die Meinung geherrscht hat, der tägliche „Dienst“ im Opernhaus sei lästig, man könne sich angesichts ständig steigender internationaler Verpflichtungen als Konzertorchester durchaus auch selbstständig machen.

Das wäre für die Wiener Oper ein schwerer Schlag gewesen, auf lange Sicht aber auch für die Philharmoniker nicht zuträglich, denn die von manchen ungeliebte tägliche Opernaufführung war und ist nicht nur „Dienstverpflichtung“, sondern wohl auch ein unschätzbares „Trainingslager“, wenn man ein solches Wort im künstlerischen Bereich gebrauchen darf.

Franz Welser-Möst hat recht, wenn er sagt: Die philharmonische Orchesterbasis sei die Grundlage für die weltweit anerkannte Qualität der Wiener Staatsoper. Doch gilt auch das Umgekehrte: Die Philharmoniker hätten nicht ihren unvergleichlichen Klang kultiviert, sie würden nicht über ihr sagenhaftes Reaktionsvermögen verfügen, wären sie nicht tagtäglich in der Oper den Imponderabilien des Repertoirebetriebs ausgesetzt.

Die Harmonie zwischen Können, exzellenter Vorbereitung und Improvisationsgabe, die sich auf diese Weise im besten Fall einstellt, ist die Stärke des Hauses. Sie würde abnehmen, wenn man versuchte, das anderswo gepflegte Stagione-System anzunehmen, also nicht mehr über 40 verschiedene Werke pro Jahr anzubieten. Das Verfügen über die Vielfalt – heute Rossini, morgen Wagner, übermorgen Alban Berg – gehört zu besagtem „Trainingsprogramm“. Nur dieses ermöglicht Spitzenleistungen. Festspielreife sprießt aus solchem Humus – in der Oper zumindest an Feiertagen.

Am sichersten erreicht man sie, wenn zwischendurch auch Weltklassedirigenten am Pult erscheinen. Einer steht mit dem designierten Generalmusikdirektor jetzt immerhin für 35 Abende zur Verfügung. Andere sind zumindest für die kommenden Spielzeiten avisiert. Dass im ersten Jahr der neuen Direktion sonst kaum glamouröse Dirigentennamen zu finden sind, hat – Dominique Meyer hat das gleich dazugesagt – mit der verhältnismäßig knappen Vorbereitungszeit zu tun. Die Bestellung der Holender-Nachfolger erfolgte zu einem Zeitpunkt, da Künstler vom Format eines Riccardo Muti oder Christian Thielemann für das Jahr 2011 bereits ausgebucht waren. Die beiden Genannten sind zumindest im Verdi- und Wagner-Doppeljahr 2013 dann aber mit von der Partie.

Weitere entsprechende Engagements zu tätigen, hilft die jüngste Vereinbarung mit den Philharmonikern gewiss: Stars verlangen Probenarbeit. Im Übrigen liegt jetzt ein solider Staatsopernspielplan für die kommende Spielzeit vor, und die Belegschaft des Hauses wie auch die zahlreichen Journalisten, die zur Präsentation gekommen sind, haben zur Kenntnis genommen, dass die Staatsoper demnächst von einem Direktor geführt wird, der wirklich bedeutende Dinge in ungewohnter Ruhe zu verkünden imstande ist.

Direktionswechsel, Spielplan, Stars Seite 23

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2010)

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