Grüne Emotionen bei Peter Kraus

Peter Kraus im Ateliertheater
Peter Kraus im Ateliertheateruw
  • Drucken

Wird er die neue Maria Vassilakou? Peter Kraus startete Dienstagabend in den internen Grünen Wahlkampf. Mit viel Gefühl - und nicht ganz so vielen konkreten Antworten.

Der Mann auf der Bierkiste hat keine Scheu vor Pathos. Als er damals mit 18 Jahren von Niederösterreich nach Wien gekommen sei, habe er nicht viel gehabt. „Außer zwei Dinge“, sagt Peter Kraus: „Hoffnung und Zuversicht“.

Er sagt das lächelnd, aber ernst. Und auch im vollgepackten August-heißen Foyer des Ateliertheaters verziehen weder die jungen Menschen noch die Politik-Haudegen ironisch das Gesicht. Vielmehr unterbricht das Publikum das Luftzufächeln, um zu klatschen. Es wird nicht der letzte Szenenapplaus an diesem Abend sein.

Denn Peter Kraus, den außerhalb der Wiener Grünen kaum jemand kennt, ist  für seine Fans Projektionsfläche großer Hoffnungen. Der 31-Jährige  soll – stilistisch und inhaltlich - den überfälligen Generationenwechsel einläuten und er steht für eine Politik, die (vorerst einmal) lieber über die ganz große Ideen, als das lästige „Klein-Klein“ des ernüchternden Koalitionsalltags redet. Mit letzterem wird Kraus („Ich bin keiner, der schon Jahrzehnte im Rathaus in politischen Ämtern sitzt.“) folgerichtig auch nicht ganz so gern in Verbindung gebracht.

Vorbild: Van der Bellen und USA

Allzu konkret wird er daher auch Dienstagabend im vollgepackten Saal in Wien-Neubau nicht. Er nennt zwar einige Punkte, die ihm stadtpolitisch wichtig sind (leistbares Wohnen oder die C02-neutrale Stadt: „In Wien soll es keine Straße ohne Baum mehr geben“). Aber vor allem geht es ums Atmosphärische, ums Gefühl.

Denn es braucht Emotion, damit die Menschen nicht nur klatschen, sondern tun, nämlich Kraus als Nachfolger von Maria Vassilakou nominieren, für ihn laufen, vielleicht auch spenden. Der Plan lautet: Eine Mitmach-Bewegung  soll entstehen, das Wunder der Van-der-Bellen-Kampagne sich im Wien-Format wiederholen.

Man sollte sich übrigens von der studentischen Bierkisten-Optik nicht täuschen lassen. Es stimmt zwar, dass Kraus kein „fettes Budget“ hat, sondern sich seinen Wahlkampf selbst finanzieren muss. Aber im Rahmen der Möglichkeiten agiert er ziemlich professionell, wie schon das Auftakt-Video auf Facebook zeigte. Kraus sagt, er habe sich einiges von US-Wahlkämpfen, konkret von Alexandria Ocasio-Cortez (Kongress, New York) abgeschaut. Vor allem das Motto: „ They got the money, we got the people“. Auch Kraus will “Menschen sammeln”, also Daten - da hilft es, dass er gerne beim Erstellen von E-Mail-Programmen tüftelt.

63 Seiten Selbsterklärung

Und das ist neben dem Pathosfaktor auch nicht das einzige irgendwie US-Amerikanische an der Kraus-Kampagne. Mit „I do care“ hat er im Juli ein Buch - oder vielmehr das Büchlein – vorgelegt, so wie es versierte Politiker tun, die einen großen Karriereschritt planen: Man erklärt sich selbst, bevor es demnächst andere machen.

In eiligen Strichen skizziert Kraus auf 63 Seiten jene Ideen, die das Bühnenbild und den Zitate-Steinbruch für den kommenden internen Wahlkampf abgeben sollen. Dabei spannt er den Bogen weit. Am Beginn steht der für ihn ernüchternde Wahlabend von Trumps Wahlsieg. Von  hier ausgehend analysiert Kraus den Zustand der Welt, Wiens und seines Gemüts.

Grob und knapp zusammengefasst sieht es in etwa so aus: „Politiker der Angst“ (in Österreich: Schwarz-Blau, die Bezeichnung „Türkis“ vermeidet Kraus) befeuern die Spaltung der Gesellschaft, indem sie ein „Wir-Sie-Denken“ und neoliberales Konkurrenzdenken predigen und das „offene Wien“ bedrohen.  Dem will Kraus eine „Politik der Empathie und Hoffnung“ – so auch der Untertitel des Buches – entgegensetzen. Gelingen soll  das mit einer „neuen Radikalität, die in der realistischen Betrachtung der Sache ihren Ausgang findet.“   

Womit zumindest eines klar ist: Rasend konkrete Ansagen für die Wiener Landes-und Gemeindepolitik findet man auch hier nicht. Aber doch einiges zwischen den Zeilen, die zudem belegen, dass Kraus ein Faible für eine interdisziplinäre Sichtweise auf die Politik hat (zitiert werden u. a.  Verhaltensforscher Frans de Waal oder Stephen Hawking) sowie eine Vorliebe für großformatige deutsche Zeitungen (wer das Kraus-Buch nicht lesen will, findet bei Bernd Ulrich quasi eine Zusammenfassung).

Angebot an Globalisierungsverlierer

Wie also lautet das Zwischen-den-Zeilen-Resümees?

Erstens: Kraus will einen starken, steuernden, ja pädagogischen Staat. Reguliert werden soll vor allem die Wirtschaft, wobei er lieber von den „Konzernen“ spricht.

Zweitens: Kraus versucht, was auch die SPÖ probiert: den zornigen  Globalisierungsverlieren/skeptikern ein Alternativangebot zur FPÖ zu machen. Er lockt mit einer  Auszeit vom Konkurrenz-Stress. Die Last der Verantwortung soll (siehe: erstens) vom Individuum zum Staat zurücktransferiert werden - egal, ob es um die Vermeidung von Plastikmüll oder um die Arbeitszeit geht. Nicht der Einzelne soll kämpfen, sich anstrengen müssen, nein, der Staat soll alles regeln. Das ist für Grüne, die eigentlich ihren Wählern gerne etwas Anstrengung zumuten, mitunter ungewohnt.

Drittens soll all das mit „radikal-realistischen“  Maßnahmen erreicht werden. Denn im „Gradualismus“  - dem Klein-Klein des Kompromisses – sieht Kraus das große Übel, den Nährboden für Populismus.

Radikal und/oder realistisch?

Und an dieser Stelle würde es – so es nicht bei der Theorie bliebe - spannend. Immerhin gilt Kraus als Vertreter des „Realo“-Flügels der Wiener Grünen, also als jener Fraktion, die für den Kompromiss mit dem roten Koalitionspartner steht. Kraus war auch lange Büroleiter von Maria Vassilakou und hat entgegen der grünen Basis für das umstrittene Heumarkt-Projekt gestimmt. 

Wie sich also die beiden Anteile der „radikal-realistischen Politik“ zueinander verhalten, hat somit das Zeug zur Gretchenfrage, die allerdings nicht auf der wolkigen Eben der großen Ideen, sondern eher „down to earth“, im Alltag, zu klären sein wird. So Kraus denn dort als Chef der Wiener Grünen je dort anlangt.

„Ich weiß, dass es nicht leicht wird“, schreibt er auf Seite 61.

Damit hat er vermutlich Recht.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Marihan Abensperg-Traun, David Ellensohn, Birgit Hebein, Benjamin Kaan und Peter Kraus (v. l.) wollen Maria Vassilakou folgen. Ende November fällt die Entscheidung.
Wien

Grüne: Fünfkampf um Vassilakou-Nachfolge

Zwei Quereinsteiger und drei Etablierte steigen in den Ring um die Führung.
Wer wird Maria Vassilakou nachfolgen?
Wien

Vassilakou-Nachfolge: Fahrplan für die Wiener Grünen

Am Mittwoch beginnt die heiße Phase für die Spitzenkandidatur der Wiener Grünen. Es geht um die Frage: Wer folgt Maria Vassilakou?
PK GRUeNE WIEN: 'KANDIDATEN FUeR SPITZENWAHL' - ABENSBERG-TRAUN/ELLENSOHN/HEBEIN/KAAN/KRAUS
Wien

Wiener Grüne: Fünf Kandidaten für Vassilakou-Nachfolge

Fünf Kandidaten haben es in die Spitzenwahl der Wiener Grünen geschafft. Neben Ellensohn, Kraus und Hebein versuchen auch ein Bezirksrat und eine Ärztin ihr Glück.
LANDESVERSAMMLUNG DER WIENER GRUeNEN: VASSILAKOU
Wien

Wiener Grüne: Neun Kandidaten wollen Vassilakou nachfolgen

Bei den Wiener Grünen bewerben sich neun Kandidaten um den Chef-Sessel. Reelle Chancen werden aber nur drei davon zugerechnet.
WIEN-WAHL: WAHLKAMPFAUFTAKT GR�NE - VASSILAKOU / ELLENSOHN
Wien

Startschuss für das grüne Duell um Vassilakou-Nachfolge

David Ellensohn will grüner Frontmann werden, fordert Selbstbewusstsein gegenüber der SPÖ und Vassilakous Job für den Gewinner der Spitzenkandidatenwahl.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.